Evangelische Kirche konkretisiert Reformvorschläge zu Abtreibungen

Neue Wege bei Schwangerschaftskonflikten

In der Debatte um Abtreibung sprechen die großen Kirchen nicht mehr mit einer Stimme: Die EKD plädiert dafür, Abtreibungen außerhalb des Strafgesetzbuchs zu regeln. Ganz vom Strafrecht abrücken will sie aber auch nicht.

Autor/in:
Michael Althaus
Eine Frau mit einem Schwangerschaftstest / © fizkes (shutterstock)
Eine Frau mit einem Schwangerschaftstest / © fizkes ( shutterstock )

Der Vorstoß hatte für viel Aufsehen gesorgt: Im Oktober vergangenen Jahres hatte der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) angekündigt, er könne sich vorstellen, dass Abtreibungen unter bestimmten Bedingungen auch außerhalb des Strafrechts geregelt werden. Wie genau eine solche Regelung aussehen könnte, ließ das Leitungsgremium damals offen. Nach gut einjähriger Beratung hat nun eine Arbeitsgruppe aus Experten ein Diskussionspapier vorgelegt, das den Vorschlag weiter konkretisiert.

Anders als die katholische Kirche, die an der bisherigen Regelung festhalten will, spricht sich das evangelische Papier für eine Kompromisslösung aus: Es plädiert dafür, Schwangerschaftsabbrüche auf Verlangen betroffener Frauen nicht mehr wie bisher im Strafgesetzbuch, aber trotzdem strafrechtlich zu regeln - und zwar im Schwangerschaftskonfliktgesetz. Dieses normiert schon jetzt Fragen wie Aufklärung, Verhütung und Familienplanung, die Schwangerschaftskonfliktberatung und die Voraussetzungen für die straflose Vorname von Schwangerschaftsabbrüchen.

"Keine Aufweichung des Lebensschutzes"

Es soll nach Vorstellung der EKD entsprechend erweitert und damit zu einem "Nebenstrafrecht" werden. "Dabei wird nicht der Aufweichung des Lebensschutzes das Wort geredet, wohl aber die besondere Situation der Frau stärker berücksichtigt", heißt es in dem Papier. Sanktioniert werden solle allein das Nicht-Wahrnehmen der verpflichtenden Beratung.

Der Schwangerschaftsabbruch gegen oder ohne den Willen der Schwangeren muss nach Ansicht des Papiers aber weiter im Strafgesetzbuch geregelt werden. Eine Regelung, die gänzlich auf das Strafrecht verzichtet, werde dem besonderen Charakter des Schwangerschaftskonflikts nicht gerecht.

An einer Beratungspflicht für betroffene Frauen will die Kirche aus demselben Grund festhalten. Allerdings könne die Wartefrist zwischen Beratung und Abbruch von aktuell drei Tagen auf 24 Stunden verkürzt werden. Diese Frist sei auch bei sonstigen medizinischen Eingriffen üblich.

Lebensschutz als gesellschaftliche Aufgabe

Darüber hinaus versucht das Papier den Blick weg von einer "symbolisch aufgeladenen" Debatte um eine strafrechtliche Regelung hin auf gesellschaftliche Rahmenbedingungen zu lenken. Um einen effektiven Lebensschutz sicherzustellen, müsse eine kinder- und familienfreundliche Kultur geschaffen werden. "Der Schutz des ungeborenen Lebens darf nicht allein der Frau aufgebürdet, sondern muss von der Gesellschaft mitgetragen werden." Dies erfordere eine zielgerichtete finanzielle Unterstützung, den Ausbau der Kinderbetreuung, flexible Arbeitszeitmodelle und die Bekämpfung von Diskriminierung alternativer Familienformen.

Um ungewollte Schwangerschaften zu vermeiden, müssten Verhütungsmittel kostenfrei für alle zugänglich sein. Zudem sei eine altersgerechte und umfassende Sexualaufklärung notwendig. "Die evangelische Kirche versteht ihre Position zum Schwangerschaftsabbruch als einen Beitrag zu einem umfassenderen Kulturwandel hin zu einer Gesellschaft, in der der Schutz des Lebens im Mittelpunkt steht."

"Schwangere muss selbst entscheiden"

Das Papier betont, beim Schwangerschaftskonflikt handle es sich um einen Gebots- und Gewissenskonflikt, der sich nicht durch eine Güterabwägung auflösen lasse. Die Verantwortung der Frau für ihr Leben stehe dem Lebensrecht des Ungeborenen gegenüber. "Daher muss die Schwangere letztlich selbst entscheiden und selbst entscheiden können."

In seiner ersten Stellungnahme im vergangenen Jahr hatte sich der Rat der EKD noch für eine abgestufte Fristenkonzeption mit Unterscheidung verschiedener Schwangerschaftsstadien ausgesprochen, die im Detail noch näher diskutiert werden sollten. Davon rückt das Papier nun ab. Eine an biologischen Entwicklungsstufen orientierte Fristsetzung aus evangelisch-theologischer Perspektive sei nicht hilfreich für die juristische Begründung eines gestuften Umgangs mit dem Ungeborenen, heißt es nun. Entscheidend müssten vielmehr Handlungs- und Beteiligungskonstellationen sein.

EKD begrüßt aktuellen Gesetzesentwurf

Vor diesem Hintergrund erklärte der Rat der EKD Mitte Dezember, man wolle den Gesetzesentwurf, den eine Gruppe von SPD- und Grünen-Abgeordneten Ende vergangenen Jahres überraschend in den Bundestag eingebracht hatte, in großen Teilen mittragen. Kern des Abgeordneten-Entwurfs ist, dass Schwangerschaftsabbrüche bis zur zwölften Woche grundsätzlich rechtmäßig sind. Eine Beratungspflicht soll bleiben, allerdings ohne die derzeit geltende Wartezeit von drei Tagen bis zur Abtreibung. Die Kosten eines Schwangerschaftsabbruchs sollen künftig zudem von der Krankenkasse übernommen werden.

Der Gesetzentwurf schreibe in evangelischer Perspektive weitgehend zustimmungsfähig den bereits bestehenden Kompromiss fort, so der EKD-Rat. Er begrüßte, dass die vorgeschlagene Neuregelung einen moralisierend-belehrenden Ton vermeide und jeder Stigmatisierung von Frauen entgegenzutreten versuche. Nur beim völligen Verzicht auf eine Wartezeit zwischen Beratung und Abtreibung ging das Gremium nicht mit. Allerdings wird der Bundestag vor der vorgezogenen Neuwahl wahrscheinlich nicht mehr über den Gesetzesentwurf abstimmen.

Der Rat betonte auch: "Das weitere Ausloten solcher Kompromisse braucht eine intensive, differenzierte und öffentlich geführte Diskussion." Die EKD werde das Ihre zu einem solchen sachlichen Diskurs beitragen und das Gespräch sowie den theologischen Austausch mit allen Positionen und Gruppierungen suchen.

Quelle:
KNA