Neue Gemeindeformen, Schwerpunktsetzung bei kirchlichen Aufgaben, mehr Bildungsarbeit, weniger Pfarrstellen - das sind einige Vorschläge zur Strukturreform der Kirche. Allerdings stammen sie nicht aus dem Jahr 2020, sondern aus dem Jahr 2006, als die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) schon einmal über Reformen beriet. Vom 7. bis 9. November diskutiert die evangelische Kirche auf ihrer Jahrestagung jetzt erneut über die Zukunft, wegen der Corona-Pandemie erstmals in einem rein digitalen Format.
2006 hieß es, dass sich bei der Fortschreibung des Trends die Zahl der evangelischen Kirchenmitglieder bis 2030 auf 17 Millionen verringern und sich die Finanzkraft halbieren könnte. Was die Mitgliederzahl angeht, könnte die Prognose eintreffen. Im Jahr 2007 war noch etwa jeder dritte Deutsche Mitglied der evangelischen Kirche, 2019 war es nur noch etwa jeder vierte. Bis 2060 könnte die Mitgliederzahl nach einer Prognose Freiburger Forscher von 2019 knapp 20,7 Millionen auf 10,5 Millionen sinken.
Anhaltender Trend zur Säkularisierung
Allerdings stiegen dank guter Konjunktur die Kirchensteuereinnahmen ab dem Jahr 2010 kontinuierlich. 2019 erreichten sie mit 5,9 Milliarden Euro allein für die 20 evangelischen Landeskirchen einen Rekord. Das wird sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten deutlich ändern - und damit steige jetzt auch der Druck auf die Kirche, sich zu reformieren, sagt der theologische Vizepräsident des EKD-Kirchenamts in Hannover, Thies Gundlach. Laut der Beschlussvorlage will die EKD bis 2030 rund 17 Millionen Euro bei ihren jährlichen Ausgaben einsparen. Die EKD-Finanzabteilung ist zur Vorbereitung die Liste der Zuschüsse durchgegangen und hat Vorschläge zu Streichungen gemacht. Auch der Stellenplan im EKD-Kirchenamt soll angepasst werden.
Die Herausforderungen, vor denen die EKD steht, sind dieselben wie 2006: demografische Umbrüche, finanzielle Einbußen durch Austritte, der anhaltende Trend zur Säkularisierung. 2006 begegnete man dem mit dem Positionspapier "Kirche der Freiheit". Damals war die Rede von zwölf "Leuchtfeuern". Heute gibt es die zwölf Leitsätze, die das höchste Beschlussgremium der EKD, die Synode, diskutieren soll. Die Leitsätze sind unter dem Titel "Hinaus ins Weite - Kirche auf gutem Grund" zusammengefasst.
Kirche in Identitätskrise
Durch die Corona-Pandemie nimmt der Reformbedarf sogar noch zu. Schon jetzt zeichnet sich beispielsweise ab, dass die Landeskirchen durch die Kurzarbeit weniger Kirchensteuern einnehmen werden.
Bundesweit rechnet man mit einem Rückgang von mindestens zehn Prozent. Zudem wurde während der Phase der strengen Kontaktbeschränkungen über den Bedeutungsverlust der Kirche in der Gesellschaft diskutiert. Deutlich wurde: Die Kirche steckt in einer Identitätskrise.
Mitten hinein in diese Diskussion veröffentlichte die EKD Ende Juni ihre Leitsätze. Die theologische Diskussion drehte sich vor allem um eine Passage, aus der Kritiker das Ende der Ortsgemeinden herauslasen und eine Entwicklung hin zu einer NGO-Kirche beobachteten. Dem Wiener Theologen Ulrich Körtner fiel vor allem auf, dass Gott in dem Papier nicht vorkomme, sondern nur als "Chiffre" für ein ethisch-humanitäres Programm diene, das sich auch ganz säkular vertreten lasse.
Jahrestagung mit neuem Verfahren
Die Kritikpunkte in der Debatte im Jahr 2006 ähneln denen von heute: Der Vorwurf der Zentralisierung der EKD wurde ebenso genannt wie die befürchtete Marginalisierung der Ortsgemeinden. Die Synode nahm das Reformpapier "Kirche der Freiheit" 2006 zwar wohlwollend entgegen, doch vieles verlief im Sande. "In der Analyse der Herausforderungen ist 'Kirche der Freiheit' noch nicht überholt.
Deswegen gibt es heute auch viele Parallelen", sagt Thies Gundlach. Doch das Verfahren sei heute ein ganz anderes. Viel inklusiver, man setze auf eine breite Beteiligung.
Damals wie heute haben die Reformpapiere der EKD kaum Verbindlichkeit, Beschlüsse können nur in den einzelnen Landeskirchen umgesetzt werden. Die haben zum Teil auch schon ihre eigenen Reformprozesse eingeleitet. "Die Instrumente der gemeinsamen Steuerung sind eher schwach ausgeprägt", sagt Thies Gundlach.
"Deswegen müssen wir überzeugen und können Impulse geben. Am Ende brauchen wir den Konsens und die Mitverantwortung aller Beteiligten."