Evangelischer Entwicklungsdienst vermisst Weichenstellungen in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit

Suche nach neuen Konzepten

Die Entwicklungsexpertin Claudia Warning sieht unter Minister Dirk Niebel noch keinen großen Wurf in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Das Vorstandsmitglied des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED) in Bonn bescheinigt Niebel aber immerhin Offenheit und Engagement für die Entwicklungshilfe.

 (DR)

epd: Frau Warning, der FDP-Politiker Dirk Niebel ist seit zehn Monaten Entwicklungsminister. Bei seinem Amtsantritt sagte er, er komme auch als Lernender. Was hat Herr Niebel inzwischen gelernt?

Warning: Herrn Niebel hat sein Amt mit einigen Paukenschlägen angetreten: Da gab es Aussagen wie "Keine Hilfe mehr für China" und "Wir sind kein Weltsozialamt". Inzwischen hat sich der Minister in der Welt umgesehen und ist viel gereist. Er schaut sich vieles an, sucht das Gespräch und hört zu. Ich bin auch schon mit ihm gereist, zum Beispiel nach Südafrika und Tansania. Er ist nicht der Politiker-Typ, der einfliegt mit den Worten: "Ich erkläre Euch mal, wie das geht."



epd: Zu welchem Ergebnis führt die Offenheit des Ministers?

Warning: Die entwicklungspolitische Konzeption ist noch nicht richtig erkennbar. Herr Niebel sucht einen Weg, Selbsthilfekräfte zu stärken. Was uns aber Sorge bereitet, ist seine Haltung zur Wirtschaftsförderung. Geht es um die Unterstützung einheimischer Unternehmen in Afrika, was niemand ablehnt, oder um die deutsche Außenwirtschaft? Im Entwurf des neuen Afrika-Konzepts, das demnächst vorgestellt werden soll, steht viel von deutschen Interessen und Werten. Armutsbekämpfung kam im ersten Entwurf überhaupt nicht vor.



epd: Die Federführung für das Afrika-Konzept hat das Auswärtige Amt?

Warning: Herr Niebel sagt immer wieder, wir müssen das Entwicklungsministerium - anders als von der FDP vorher gefordert - jetzt nicht mehr abschaffen, weil wir wunderbar mit dem Auswärtigen Amt zusammenarbeiten. Abstimmung ist gut, aber das Entwicklungsministerium darf sich nicht unter das Diktat des Auswärtigen Amts stellen. Wenn das Ministerium darum kämpfen muss, dass im Afrika-Konzept Armutsbekämpfung auftaucht, dann stimmt etwas

nicht: Das ist nicht der große Wurf der Entwicklungszusammenarbeit.



epd: Entwicklungshilfe hat mit Geld zu tun. Wo stehen wir heute in Deutschland?

Warning: Wir hatten 2009 einen Anteil der Entwicklungshilfe am Bruttonationaleinkommen von 0,35 Prozent. Damit sind wir ein ganzes Stück entfernt von dem für 2010 angepeilten EU-Ziel - 0,51 Prozent - und noch sehr weit weg von den 0,7 Prozent, die bis 2015 erreicht werden sollen. Herr Niebel sagte zwar, er halte diese Zahlen nicht für so wichtig. Aber auf der anderen Seite schrieb er einen Brief an seine Partei, in dem er für mehr Entwicklungshilfe warb. Er kämpft darum. In diesem Jahr auf 0,51 Prozent zu kommen, das hätte bei einem Etat von rund sechs Milliarden Euro eine Aufstockung um eine Milliarde bedeutet. Das ist politisch nicht durchsetzbar.



epd: Sind sie dafür, am 0,7-Prozent-Ziel festzuhalten, auch wenn es womöglich unerreichbar ist?

Warning: Ich halte es für richtig, weil wir eine Zielmarke brauchen. Auch wenn die Mitgliedsländer der Vereinten Nationen das 0,7-Prozent-Ziel vor 40 Jahren willkürlich festgelegt haben. Damals wollte man eine Verdoppelung der Hilfe erreichen. Es ist eine gute Zahl, um die Entwicklung seither zu sehen: Die Bilanz ist eher traurig, auch wenn die Bundesregierung in den vergangenen Jahren den Etat aufgestockt hat, aber hinter den eigenen Versprechungen zurückblieb.



epd: Enttäuschend ist, dass die Zahl der Hungernden weltweit im vergangenen Jahr um 100 Millionen auf über eine Milliarde Menschen stieg. Ein negatives Vorzeichen für den Millenniumsgipfel vom 20. bis 22. September in New York?

Warning: In der Tat. Dennoch wird nach dem Bericht von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon die Staatengemeinschaft das Ziel erreichen, den Anteil der extrem Armen an der Weltbevölkerung bis

2015 zu halbieren. 1990 waren es 1,8 Milliarden Menschen (46 Prozent), die von weniger als 1,25 US-Dollar am Tag leben mussten. 2005 waren es 1,4 Milliarden (27 Prozent). Eine Zahl, die im krassen Widerstreit steht zu der steigenden Zahl der Hungernden. Mir fällt es schwer, beide Zahlen in Einklang zu bringen. Erfolge gab es vor allem in China, aber angeblich auch in Indien, obwohl das schwer zu glauben ist. In Indien lebt die Hälfte der Hungernden weltweit, und diese Zahl steigt insgesamt.



epd: Sind die Fortschritte bei den Millenniumszielen zu Hunger, Armut, Krankheiten und Bildung also ziemlich blass?

Warning: Es gibt Erfolge, etwa bei der Bekämpfung der Malaria und bei der Einschulung. Es tut sich etwas - und das macht Mut, aber es gibt auch Rückschläge. Das heißt: Wir müssen weitermachen. Es ist richtig, internationale Zielmarken zu haben.



epd: Was muss getan werden?

Warning: Im Kampf gegen den Hunger ist ein langer Atem gefordert.

Denn die Ernährungs- und Finanzkrise wird lange anhalten. Meine Zwischenbilanz zu den Millenniumszielen fällt kritisch aus: Das Glas ist nicht halbvoll, es ist halbleer. Rund 1,4 Milliarden Männer, Frauen und Kinder müssen von weniger als 1,25 US-Dollar am Tag leben

- in extremer Armut. Wir müssen aber auch das Schicksal von weiteren zwei Milliarden Menschen sehen, die weniger als zwei Dollar täglich zur Verfügung haben: Das sind auch Menschen, die in Armut leben.



epd: Ein großes Reizthema in Deutschland ist das Thema Militarisierung der Entwicklungshilfe. Wie sehen Sie das?

Warning: Es gibt einen Streit, der mit harten Bandagen ausgetragen wird. Herr Niebel hat zum Junktim erklärt, dass private oder kirchliche Hilfswerke, die Steuergelder für ihre Afghanistan-Arbeit erhalten, sich in die Gesamtstrategie der "vernetzten Sicherheit" einzubinden haben. Das heißt konkret, dass militärische Operationen der Bundeswehr dort auch von zivilen humanitären Einsätzen begleitet werden. Das sagt auch Bundeskanzlerin Angela Merkel. Aber es ist seit langem das erste Mal, dass Fördergelder daran gebunden werden.



epd: Was ist die Folge des Junktims?

Warning: Humanitäre Hilfe muss erkennbar neutral bleiben. Wenn die Organisationen sich in Afghanistan in ein militärisches Konzept einbinden lassen, werden sie zum parteiischen Akteur. Das gefährdet die Sicherheit der Helfer. Die Organisationen verfolgen dann ja auch Ziele, die in Bonn und Berlin festgelegt werden. Es sind keine Ziele, die Entwicklungsorganisationen vor Ort mit ihren Partnern nach der größten Not vereinbaren.



Dann ist die Frage: Was steht im Vordergrund, das Militärische oder das Zivile? Der EED ist nicht in Afghanistan tätig, aber evangelische Hilfswerke wie die Diakonie Katastrophenhilfe und "Brot für die Welt" können sich darauf nicht einlassen. Sie haben eine ganz klare Linie, die sich am Konzept des "Gerechten Friedens" der Kirchen orientiert.



epd: Ist das Junktim auf andere Länder übertragbar?

Warning: Afghanistan ist ein besonderer Fall, weil wir dort Soldaten stationiert haben. Eine Gefahr ist aber generell die Zweckbindung der Mittel für nichtstaatliche Organisationen. Das Ministerium hat auch zehn Millionen Euro für Klimaschutz ausgeschrieben, um die sich Organisationen bewerben können. Wenn Zweckbindung Schule macht, werden die privaten und kirchlichen Werke zu reinen Durchführungsorganisationen des Staates, die nicht mehr ihren eigenen Konzepten folgen. Das wäre alles andere als liberal. Herr Niebel vertritt ja eigentlich die urliberale Auffassung, dass alle Veränderungen aus der Mitte der Gesellschaft kommen.