domradio.de: Die evangelischen Pilger aus Deutschland haben Papst Franziskus auch eine hüfthohe Luther-Statue mit Bibel in der Hand mitgebracht. Die stand während der Audienz direkt neben Franziskus. Ein ungewohnter Anblick, oder?
Pfarrer Jens-Martin Kruse (deutschsprachige evangelische Gemeinde in Rom): Das mag auf den ersten Blick so scheinen. Ich denke aber, das ist in Rom inzwischen ein Stück weit Alltag. Martin Luther als Zeuge unseres Glaubens und als Zeuge des Evangeliums kann genau so gut im katholischen Raum vorkommen wie im evangelischen Bereich.
domradio.de: Überreicht haben die Luther-Pilger dem Papst die sogenannte "Charta Oecumenica" - 95 moderne Thesen und Wünsche für die Zukunft der Einheit der Kirche. Was steht da drin?
Kruse: Das ist eine sehr schöne Idee. Dieser Pilgerweg führt evangelische und katholische junge Menschen aus Deutschland, vor allem aus den neuen Bundesländern über die Alpen mit Luther nach Rom. Dieses gemeinsame auf dem Weg sein, das ist auch ein ganz wichtiges Stichwort von Papst Franziskus. Man lernt sich besser kennen und diese Jugendlichen haben dann in diesen 95 Thesen festgehalten, was ihnen in der Ökumene wichtig erscheint. Das ist ein bunter Strauß und zeigt, dass diese junge Menschen sehr nah dran sind an den großen ökumenischen Fragen. Mich hat das sehr gefreut, weil man oft sagt, das Thema Ökumene beweg heute niemanden mehr. Diese jungen Menschen haben klar formuliert: "Wie müssen uns mehr anstrengen. Die Welt braucht ein gemeinsames Zeugnis von uns Christen. Wir wollen zusammen Abendmahl feiern. Schön, dass es den anderen gibt, das ist eine Bereicherung."
domradio.de: Sie sind evangelischer Pfarrer in der katholischsten Stadt überhaupt. Wie sieht da das ökumenische Miteinander aus?
Kruse: Also auch nach meiner Wahrnehmung ist Rom der Ort der Ökumene schlechthin - wir leben hier eine vielfältige, sehr vertrauensvolle, internationale und auch innovative Ökumene. Sowohl in den Gemeinden als auch mit dem Papst zusammen. Rom ist Mittelpunkt der römisch-katholischen Christenheit, aber Rom ist heute auch die Mitte der Christen überhaupt. Alle christlichen Kirchen, die es gibt auf dieser Welt gibt, sind mit eigenen Kirchengemeinden in Rom vertreten.
domradio.de: Franziskus besucht in zwei Wochen das schwedische Lund, Geburtsort des lutherischen Weltbundes, um gemeinsam mit den Protestanten das Gedenkjahr zu 500 Jahren Reformation zu eröffnen. Ist das so ein großer Schritt, wie es klingt?
Kruse: Das ist ein ganz wunderbares Ereignis, was da auf uns zukommt. Das ist das erste Mal, dass die römisch-katholische Kirche, vertreten durch den Papst, und der Lutherische Weltbund, vertreten durch ihren Vorsitzenden, gemeinsam einladen. Nicht einer ist Gast und der andere Gastgeber, sondern beide Kirchen laden ein, um sich gemeinsam an die Reformation zu erinnern und gemeinsam auch sagen zu können, was Luther und Reformation auch an positiven Ergebnissen gebracht hat. Das, glaube ich, ist eins der wichtigsten kirchlichen Ereignisse der letzten Jahrzehnte. Das wird uns auch im Jahr 2017 mit dem Gedenken an 500 Jahre Reformation prägen. Das ist das Vorzeichen, das vor allem steht. Das ist ein Geschenk des Himmels.
Das Interview führte Daniel Hauser.