Der einstige Schrecken aller Konservativen gehört längst selbst zum Inventar der Republik. Mit seiner Firma Joschka Fischer & Company residiert Joseph Martin Fischer im Herzen des politischen Berlin. Der Marsch durch die Institutionen ist dem Sohn eines ungarndeutschen Metzgers, der vor 70 Jahren, am 12. April 1948 in Gerabronn das Licht der Welt erblickte, zweifellos geglückt. "Wenn ich den Eliten nicht mehr traue, muss ich selber zu einer solchen werden. Irgendeiner muss es ja machen", hat er einmal gesagt. Vom Messdiener zum Grünen-Rebell zum Außenminister zum Strippenzieher: Es fällt schwer, das bewegte Leben des Joschka Fischer in wenige Worte zufassen.
Politisiert haben ihn die 68er. Für seine Umtriebe im linksradikalen Milieu, vor allem aber für seine Schläge gegen einen Polizisten bei einer Straßenschlacht in Frankfurt 1973 musste er Jahrzehnte später öffentliche Prügel einstecken. Fischer steckte das weg, genauso wie den Farbbeutel, der ihm 1999 beim Sonderparteitag der Grünen aus Protest gegen den Nato-Engagement im Kosovo ans Ohr geschleudert wurde. Der angezählte Außenminister kämpfte anschließend mit rotem Fleck auf dem Sakko und Heiserkeit in der Stimme für ein Ja zu einer deutschen Beteiligung an dem Einsatz, der das Morden auf dem Balkan beenden sollte. "Nie wieder Krieg, nie wieder Auschwitz, nie wieder Völkermord, nie wieder Faschismus."
Die weißen Turnschuhe
Auch auf deftige Retourkutschen verstand sich der einstige Taxifahrer, der 1985 im hessischen Landtag in Turnschuhen zur Vereidigung als Umweltminister erschien. Bundestagsvizepräsident Richard Stücklen hatte er entgegengeschleudert: "Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch." Die weißen Turnschuhe seien ihm peinlich gewesen, ließ Fischer 2017 wissen. Aber die Partei habe ein "Protestsymbol" setzen wollen. "Dem habe ich mich gebeugt."
Unbeugsam dagegen präsentierte sich der Politiker stets, wenn er für seine Überzeugungen in den Ring stieg. "I am not convinced", beschied der seit 1998 amtierende Außenminister 2003 dem damaligen amerikanischen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, als die USA den Angriff auf den Irak mit dem Hinweis auf Saddam Husseins angebliche "Massenvernichtungswaffen" begründeten.
Einsatz für den Frieden in Israel
Dieses und anderes nötigte auch manchem Gegner Respekt ab. Fischers Einsatz für den Frieden in Israel und sein klares Bekenntnis zu den Juden in Deutschland brachten ihm 2003 die Buber-Rosenzweig-Medaille des Koordinierungsrates der christlich-jüdischen Gesellschaften ein.
Nur eine von vielen Auszeichnungen, zu denen übrigens auch die Bezeichnung einer fossilen Schlange aus der Grube Messel gehört: Palaeopython fischeri. Als Dank für Fischers Engagement zum Erhalt der Fundstätte bei Darmstadt.
Zurück in die Beraterbranche
Ein knappes Jahr nach der Niederlage von Rot-Grün 2005 legte der einstige Grünen-Frontmann sein Bundestagsmandat nieder und stieg wenig später in die Beraterbranche ein. Möglicherweise wollte er nicht so enden wie manche Vorgänger, über die er 1985 ätzte: "Es gibt doch eine ganze Latte politischer Halbleichen bis Leichen, die hier auf Kabinettsposten herummodern."
Als Außenminister "pflegte er seine Stirn so akkurat in tiefe Falten zu legen, dass die Sorgen der Welt überaus dekorativ darauf herumklettern konnten", schrieb die "Zeit" unlängst. Das kann Fischer immer noch. Und dürfte damit nach Peter Scholl-Latour und Helmut Schmidt Anwärter auf den inoffiziellen Titel der "Sorgenfalte der Weltpolitik" sein. Sein jüngstes Buch handelt vom "Abstieg des Westens". 2014 fragte er: "Scheitert Europa?"
Erbe seiner Messdienerzeit
Früher schrieb der zeitweilige Marathonmann über seinen langen Lauf zu sich selbst. Treu geblieben ist er seiner Vorliebe für einen guten Tropfen, Erbe seiner Messdienerzeit. "Die offizielle Einstiegsdroge war das Weihrauch, die inoffizielle war der Messwein." Von der Droge Politik hat er laut eigenem Bekunden genug abbekommen. Das mögen nicht wenige bedauern - auch wenn Fischers legendäre Selbsteinschätzung aus dem Interview der "tageszeitung" bei dem ein oder anderen für Augenrollen sorgt: "Ich war einer der letzten Live-Rock 'n' Roller der deutschen Politik. Jetzt kommt in allen Parteien die Playback-Generation."