Ex-Caritas-Vorstand: Anders über Gerechtigkeit nachdenken

"In Deutschland herrscht große Zukunftsangst"

​Der frühere Generalsekretär des Deutschen Caritasverbandes Georg Cremer warnt mit Blick auf das Wahlkampfthema Gerechtigkeit vor "einem Untergangsdiskurs". Dadurch gerate der gesellschaftliche Konsens in Gefahr. 

Justitia steht für Gerechtigkeit  / © Daniel Reinhardt (dpa)
Justitia steht für Gerechtigkeit / © Daniel Reinhardt ( dpa )

Zudem führe die ständige Abstiegsangst der Mitte zur Abschottung nach unten, sagte der in Freiburg lehrende Professor für Volkswirtschaft am Mittwoch dem Portal Spiegel Online. "Es gibt große soziale Probleme, wir müssen politisch handeln", fügte Cremer hinzu. Medien und Sozialverbände neigten aber dazu, positive Entwicklungen ins Negative zu drehen. Besonders schrill sei der Ton beim Thema Armut, wenn ernsthaft behauptet werde, sie wäre in Deutschland noch nie so groß gewesen wie heute.

Nach Einschätzung des Sozialexperten herrscht in Deutschland eine große Zukunftsangst. "Viele Menschen glauben, sie gehörten der letzten Generation an, der es besser geht als ihren Eltern." Dabei lägen die Zukunftsrisiken weniger im ökonomischen als im politischen Bereich: im Terrorismus und seinen Folgen für unsere Rechtsstaatlichkeit etwa. Cremer forderte eine nüchterne Debatte über Armut. Staat und Zivilgesellschaft müssten sich vor allem darum kümmern, dass auch Kinder aus prekären Verhältnissen ihre Potenziale entfalten könnten. "Wir sollten den Sozialstaat konsequent auf diese Befähigungsgerechtigkeit ausrichten - nicht nur für Kinder, sondern für alle."

Gerechtigkeitsprobleme bei Mieten, Bezahlung und Arbeitsbedingungen

Als weitere Gerechtigkeitsprobleme nannte Cremer steigende Mieten in Ballungszentren und schlechte Bezahlung und Arbeitsbedingungen im Dienstleistungssektor. Cremer wandte sich zugleich gegen eine Vermischung der Debatte um das Rentenniveau mit dem Kampf gegen Altersarmut. Die Rentner in der Grundsicherung hätten überhaupt nichts von einem höheren Rentenniveau, weil bei ihnen die gesetzliche Rente voll auf die Grundsicherung angerechnet würde. "Gerade diejenigen, die ein Leben gut verdient und eine hohe Rente haben, würden hingegen am stärksten profitieren."

Beim Thema Steuererhöhungen erwartet Cremer keine umwälzenden Neuerungen. Priorität habe für ihn der Kampf gegen Steuerhinterziehung und illegitime Formen der Steuervermeidung. "Eine Erbschaftsteuer mit moderaten Steuersätzen, aber weniger Ausnahmen ist ebenfalls denkbar." Gezielt entlastet werden sollten Familien der unteren Mittelschicht - bei denen, die keine Steuern zahlen, könnten die Sozialabgaben gesenkt werden.


Der Ex-Generalsekretär des Deutschen Caritasverbandes: Georg Cremer / © Markus Nowak (KNA)
Der Ex-Generalsekretär des Deutschen Caritasverbandes: Georg Cremer / © Markus Nowak ( KNA )
Quelle:
KNA