DOMRADIO.DE: Sie sagen, Sie haben die Hoffnung verloren, dass sich in der Kirche etwas ändert und sind deshalb nicht mehr in der römisch-katholischen Kirche. Setzt man da nicht auch ein schwieriges Signal gegenüber den Leuten, die etwas verändern wollen?
Andreas Sturm (ehemaliger Generalvikar im Bistum Speyer): Wenn Sie für sich merken, dass Sie keine Hoffnung mehr haben, aber an so prominenter Stelle und damit ja auch in besonderer Weise für diese Kirche und ein Stück weit als Gesicht dieser Kirche stehen, dann muss man ehrlich mit sich sein. Dann muss man sagen, dass man dafür nicht mehr einstehen, nicht mehr geradestehen kann und sich damit sonst auch nicht selber im Spiegel angucken kann.
Aber ich kenne auch die anderen, die fest davon überzeugt sind, dass der Synodale Weg die notwendigen Veränderungen bringt. Ein wichtiger Anstoß ist die Weltsynode, die den Rest erledigt. Ich will Ihnen die Hoffnung ja nicht rauben. Aber ich glaube, wer sagt, dass es diese Veränderungen barucht, der darf nicht darauf hoffen, dass jene Frauen und Männer, die in Frankfurt versammelt (Bei der Vollversammlung des Reformprozesses "Synodaler Weg", Anm. d. Red.) sind, alleine die Veränderung bringen werden. Die müssen sich alle auch in ihren Pfarreien, in ihren Verbänden, genauso stark dafür einsetzen, dass es Veränderung gibt. Sonst wird es nicht klappen.
DOMRADIO.DE: Sie waren in der Position des Generalvikars, des Verwaltungsleiters, der zweitwichtigsten Entscheidungspositionen in einem Bistum. Wenn Sie in so einer Position sitzen, wo Veränderungen für das eigene Bistum angestoßen werden können, sollten Sie dann nicht diese Entscheidungsgewalt nutzen und das nicht anderen Leuten überlassen?
Sturm: Wir haben das ja zum Teil gemacht. Aber man muss dann auch aufpassen. Innerhalb der eigenen Blase wird man dann gefeiert. Wir haben zwei Frauen in Leitungspositionen geholt. Von unseren fünf Hauptabteilungen waren damit zwei von Frauen besetzt und einer von einem Laien, einem Mann. Da klopft man einem schon in der katholischen Welt auf die Schultern und sagt, ihr macht das toll.
Wenn ich das Freunden erzähle, die nicht im kirchlichen Umfeld sind, verstehen die überhaupt nicht, was da der Erfolg sein soll. Da wird mir noch mal deutlich, wie sehr wir in unserem innerkirchlichen Denken, in unserer innerkirchlichen Blase schon kleine Schritte als große Erfolge feiern. Viele großen Fragen bleiben am Ende aber doch auf der Strecke, denn die werden wir in Deutschland nicht entscheiden.
Bei aller Euphorie, beim Synodalen Weg wird die Ämterfrage, werden die Zulassungsbedingungen, die Neubewertung von Sexualität nicht in Deutschland entschieden. Da ist der Machtanspruch oder der Gestaltungsspielraum eines Generalvikar, selbst eines Bischofs am Ende doch verhältnismäßig klein.
DOMRADIO.DE: Schauen wir auf die Kirche in zehn Jahren. Was ist mit der Kirche in Deutschland? Geht gar keiner mehr hin? Werden wir es hinkriegen, uns auf unserer Ebene so weit zu reformieren, dass wir die Menschen trotzdem erreichen? Was erwarten Sie da?
Sturm: Wenn man mir in zehn Jahren präsentieren kann, dass ich in meinen Punkten falsch gelegen habe, freue ich mich. Ich bin nicht unglücklich, wenn ich falsch lag.
Ich glaube, dass es Kirche braucht. Ich glaube das ganz fest. Insofern hoffe ich, dass die römische Kirche das auch hinbekommt und sich da vielleicht auch von anderen Kirchen inspirieren lässt. Das können die Alt-Katholiken sein, aber das können auch die protestantischen Kirchen sein.
Ich finde, wir haben in der römischen Kirche viel Gutes, viel Wegweisendes. Sie merken, ich bin immer noch mit halbem Fuß da drin, deswegen spreche ich oft noch von Wir.
Ich finde diesen weltkirchlichen Gedanken großartig. Wir haben dieser Welt und den Menschen hier und heute angesichts des Kriegs, angesichts der Pandemie, angesichts all der vielen Themen, die es bei Groß und Klein, bei jedem Menschen im Alltag gibt, viel zu sagen.
Insofern hoffe ich so sehr, dass es uns gelingt, dass wir wieder zu dem kommen, weswegen es uns geben muss, die frohe Botschaft Jesu Christi zu verkünden und nicht in unseren Strukturfragen, in unseren Vertrauenskrisen, in der Missbrauchsaufarbeitung so stecken bleiben, dass Menschen von uns gar nichts mehr erwarten.
DOMRADIO.DE: Wenn das alles tatsächlich funktionieren sollte, schließen Sie aus, wieder zurückzukommen?
Sturm: Ich würde es anders sagen. Ich habe die Hoffnung, dass wir irgendwann gar nicht mehr über Konfessionsgrenzen reden müssen, sondern dass es unterschiedliche Formen gibt, wie Menschen Kirche leben. Dann spielt es keine Rolle, ob jemand evangelische Christin, Alt-Katholik oder römischer Katholik oder orthodoxer Christ ist.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.