Experte fordert stärkere staatliche Rolle bei Aufarbeitung

Mehr Betroffene sexualisierter Gewalt als bisher bekannt

Nach der Vorstellung der Missbrauchsstudie des Bistums Essen will die bundesweite unabhängige Aufarbeitungskommission eine stärkere staatliche Beteiligung bei der Aufklärung von sexuellem Missbrauch. Ein rechtlicher Rahmen soll her.

 Vorstellung der Studie zu Missbrauch im Bistum Essen
 / © Andre Zelck (KNA)
Vorstellung der Studie zu Missbrauch im Bistum Essen / © Andre Zelck ( KNA )

Es dürfe nicht dem Willen eines Bistums oder einer Organisation überlassen bleiben, ob eine unabhängige Aufarbeitung stattfinde, sagte der Sozialpsychologe Heiner Keupp als Mitglied der Kommission am Dienstag auf Anfrage in Berlin.

Deshalb müsse der Staat eine größere Rolle in Aufarbeitungsprozessen einnehmen. Dafür sei ein rechtlicher Rahmen unumgänglich. Es brauche deshalb eine gesetzliche Grundlage auch für die Aufarbeitungskommission des Bundes.

Mehr Betroffene sexualisierter Gewalt und Täter als bisher bekannt

Das Bistum Essen stellte die Studie am Dienstagvormittag vor. Demnach gibt es dort wesentlich mehr Betroffene sexualisierter Gewalt und Täter als bisher bekannt. Seit der Gründung vor 65 Jahren sind mindestens 423 Fälle und Verdachtsfälle bekannt. Weiter sind insgesamt 201 Personen beschuldigt, darunter 129 Geistliche und 19 Ordensfrauen.

Keupp erklärte weiter, es müsse auch ein Recht für Betroffene auf Aufarbeitung gesetzlich verankert werden, das Zugang zu Akten, Auskunft durch die Institution sowie Angebote zur Beratung und Begleitung im Rahmen der individuellen Aufarbeitung von Betroffenen vorsehe.

Studie richte Blick weit über Taten und Täter hinaus

Zugleich würdigte Keupp die Methode des Essener Gutachtens. Die Studie liefere mehr als nur Zahlen zu Fällen sexuellen Kindesmissbrauchs und juristische Aufklärung. Sie untersuche auch soziologische Zusammenhänge und beziehe Betroffene in die wissenschaftliche Aufarbeitung ein.

Damit richte die Studie den Blick weit über die Taten und Täter hinaus und leiste auch einen Beitrag zur Anerkennung des erlittenen Unrechts. So seien etwa erstmals auch die Folgen des Umgangs mit Fällen sexuellen Kindesmissbrauchs in den Kirchengemeinden untersucht worden.

Die Leitung des Bistums habe erkannt, wie wichtig eine neue Form von Offenheit für den Umgang von Institutionen mit sexualisierter Gewalt sei, so Keupp.

Die bundesweite unabhängige Aufarbeitungskommission gibt es seit 2016. Sie soll Ausmaß und Folgen von Kindesmissbrauch in Deutschland untersuchen. Aufgabe ist es, bundesweit Betroffene anzuhören und deren Berichte sowie Dokumente von Institutionen auszuwerten.

Essener Missbrauchsstudie greift zwei bekannte Fälle heraus

Sozialforschende haben Missbrauchsfälle im Bistum Essen aufgearbeitet. Ihnen geht es um die Strukturen, die Taten begünstigten. Zwei Bischöfe haben bereits Fehler eingeräumt.

Wieder wird es um sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche gehen. Wieder werden Betroffene Schmerz und Wut zum Ausdruck bringen, Kirchenvertreter ihre Betroffenheit ausdrücken und Bischöfe ihren eigenen Umgang mit beschuldigten Priestern erklären müssen. Am 14. Februar stellt ein sozialwissenschaftliches Team aus München seine Missbrauchsstudie für das Bistum Essen vor.

Ein Plakat, brennende Opferlichter und ein symbolischer Sarg bei einer Kundgebung von Betroffenen sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche am 21. Januar 2022 vor dem Essener Dom. / © Andre Zelck (KNA)
Ein Plakat, brennende Opferlichter und ein symbolischer Sarg bei einer Kundgebung von Betroffenen sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche am 21. Januar 2022 vor dem Essener Dom. / © Andre Zelck ( KNA )
Quelle:
KNA