DOMRADIO.DE: Der Vatikan sagt, die Einrichtung eines "Synodalen Rates" würde gegen das Kirchenrecht verstoßen, was in Deutschland zu großer Aufregung geführt hat. Waren Sie von diesem Brief aus Rom an die deutschen Bischöfe überrascht?
Austen Ivereigh (Vatikanjournalist und Papstbiograf): Nein. Das war zu erwarten, wenn man sich das Hin und Her zwischen Rom und Deutschland die letzten zwei Jahre angeschaut hat. Das konnte man kommen sehen. Kardinal Ouellet wurde ja schon nach dem Ad-limina-Besuch der deutschen Bischöfe im November ziemlich deutlich, als er ein Moratorium des Synodalen Weges gefordert hat, weil es sonst zu großen Spaltungen und Problemen in der Kirche kommen würde.
Die Entscheidung des Synodalen Weges, trotzdem über die Einrichtung eines Synodalen Rates abzustimmen, und die angedachte Umsetzung jetzt im März bei der letzten Synodalversammlung mussten unweigerlich dazu führen, dass Rom einschreitet und diesen Schritt für nicht legal oder valide erklärt.
Im Prinzip muss man sagen, dass beide Seiten damit jeweils ein Ultimatum ausgesprochen haben. Die deutschen Bischöfe sagen: Das haben wir jetzt so beschlossen und das ist rechtens. Rom sagt: Ist es nicht, stoppt den Prozess.
DOMRADIO.DE: Und ein Kompromiss zwischen den beiden Positionen scheint ausgeschlossen, so lange man nicht aufeinander zu geht.
Ivereigh: Ich bin kein Kirchenrechtler, aber ich habe vor kurzem erst mit den Organisatoren des Synodalen Weges in Deutschland gesprochen und bekomme den Eindruck, dass viele Details, über die im Moment mit Rom gestritten wird, überhaupt noch nicht in Stein gemeißelt sind. Vieles ist in den Dokumenten noch sehr vage, zum Beispiel bei der Frage der Entscheidungsgewalt. Wenn es in diesem Synodalen Rat zu einem Konflikt käme, wer hat dann das letzte Wort? Alle diese Fragen müssen erst noch geklärt werden.
Es wäre also zu früh zu sagen, der Prozess verstößt gegen das Kirchenrecht – aber es ist genauso zu früh zu sagen, dass er das mit Sicherheit nicht tut. Der Teufel liegt im Detail.
Grundsätzlich ist die Idee, ein neues Organ in der deutschen Kirche einzurichten, das Entscheidungsgewalt nicht nur den Bischöfen gibt, eine vollkommene Innovation. Die Idee eines auf Dauer angelegten synodalen Gremiums sieht für Rom – und auch für mich als Außenstehenden – ähnlich aus, wie die Räte und Einrichtungen, die wir in der anglikanischen oder evangelischen Kirche sehen. Das Problem daran ist, dass das vom Kirchenverständnis her ein komplett anderes Modell ist als das katholische. Aus Gesprächen mit den Anglikanern weiß ich, dass sowas im Endeffekt auf ein Parlament hinauslaufen muss. Entscheidungen werden durch Debatten und Abstimmungen herbeigeführt. Das Votum entscheidet, wer gewinnt und wer verliert. Das führt in einer Religionsgemeinschaft nur zu noch tieferer Polarisierung und Streit. Genau das passiert ja in Parlamenten in der Politik.
Die katholische Kirche hat aber diese Vision von Synodalität: Meinungsverschiedenheiten werden dadurch aufgelöst, dass wir gemeinsam einen neuen Weg suchen. Oder anders gesagt: Es muss ein Kompromiss gefunden werden, und wenn der nicht gefunden wird, dann braucht es Geduld. Und wenn das nicht klappt, braucht es einen komplett anderen Ansatz der Ekklesiologie, was unserem ganzen Kirchenverständnis widerspricht.
DOMRADIO.DE: Schaut man sich den Konflikt an, bekommt man den Eindruck, dass auf zwei völlig unterschiedlichen Ebenen kommuniziert wird. Die Reaktion von Bischof Bätzing zum Beispiel geht ja überhaupt nicht auf die inhaltliche Kritik des Vatikans ein. Auf der anderen Seite scheint der Vatikan die Beweggründe des deutschen Reformprozesses nicht wirklich nachzuvollziehen. Haben wir hier also vor allem ein Kommunikationsproblem?
Ivereigh: Als Außenstehender sehe ich hier definitiv ein großes Kommunikationsproblem. Es gibt einfach keinen richtigen Dialog, was ja eigentlich auch der Kern von Synodalität sein sollte. Ich habe viele Gespräche mit Kollegen in Deutschland geführt und dadurch verstanden, wie wichtig dieser Prozess für Deutschland ist, weshalb er entstanden ist und was man damit erreichen will.
Man muss das Ganze im Kontext der deutschen Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg betrachten, wo die Kirche eine sehr große Rolle beim Wiederaufbau der Gesellschaft gespielt hat – und auch bei der Entwicklung demokratischer Regierungsstrukturen. In diesem Kontext verstehe ich, warum das der deutschen Kirche so wichtig ist. Die Deutschen müssen aber auch verstehen, dass sich ihre Lage von der in allen anderen Ländern unterscheidet. Da ist die deutsche Kirche ein wenig unsensibel gewesen vorauszusetzen, dass man in diesen Bereichen Reformen anstreben kann, ohne damit eine massive Spaltung auf internationaler Ebene herbeizuführen. Ich rede hier nicht von Schisma, aber von einem Riss in der Gemeinschaft auf verschiedenen Ebenen. Und genau das sehen wir ja in den Reaktionen anderer Bischofskonferenzen.
Vieles davon ist auch auf Missverständnisse – gewollt oder ungewollt – zurückzuführen. Man könnte sehr viel mehr erreichen, wenn man wirklich im Dialog miteinander reden würde.
DOMRADIO.DE: Wie kriegt man das gelöst? Aus der Zwickmühle kommt man jetzt schwer raus.
Ivereigh: Ich glaube, dafür müsste der Reformprozess in Deutschland tatsächlich ausgesetzt werden, zumindest zeitweise. Solange bis der Prozess der Weltsynode im Vatikan abgeschlossen ist und die Ergebnisse des Synodalen Wegs in Deutschland dort einfließen können. Das wäre die 'katholische' Art, den Konflikt anzugehen, auf der universalen Ebene. Ich glaube aber nicht, dass das für viele Delegierte beim Synodalen Weg akzeptabel wäre.
DOMRADIO.DE: Trotzdem wollen Deutsche Bischofskonferenz und ZdK den Prozess fortführen. Kann man die Kirche im Konflikt mit dem Vatikan reformieren?
Ivereigh: Ich glaube, unter Papst Franziskus gibt es einen sehr anderen Vatikan als bei seinen Vorgängern. Er ist kein Zentrist oder Autokrat und lässt offene Diskussion zu. Aber das Fakt, dass sowohl Franziskus als auch die Kurienchefs bei diesem Thema so deutlich werden, ist ein Zeichen, dass sie in großer Sorge sind und den deutschen Prozess einfach nicht für kompatibel mit der Reform der Weltkirche halten. Dass Kardinal Kasper zum Beispiel so deutlich widerspricht, ist da auch ein Zeichen. Das ist eine ganz andere Art Kritik als das, was wir sonst aus konservativen Kreisen hören, die einfach aus der Angst vor Veränderung herrührt.
Es braucht also von deutscher Seite mehr Respekt für den Standpunkt und auch die Entscheidung des Papstes. Der einzige Weg nach vorne ist innezuhalten, auf die Argumente aus Rom zu hören und in einen echten Dialog zu treten. Wenn die deutsche Kirche den anderen Weg wählt, sagt "das ist unsere Entscheidung, die ist demokratisch legitimiert und deshalb setzen wir sie um," das zeigt meines Erachtens fehlenden Respekt für den Papst und die Kirche als Ganzes. Und das ist ein ernstes Problem.
DOMRADIO.DE: Es gibt die Theorie, dass hinter dem Brief aus Rom die Angst des Papstes steht, damit den Prozess der Weltsynode zu torpedieren. Dass konservative Kritiker nach Deutschland und auf einen Synodalen Rat zeigen und sagen: Das habt ihr davon, wenn ihr auf Synodalität setzt. Der Papst wolle genau so etwas vermeiden. – Was denken Sie, ist da was dran?
Ivereigh: Ich glaube, es stimmt, dass man in Rom nicht sehr erfreut ist, dass die negativen Reaktionen auf den Synodalen Weg sich auch auf die Weltsynode auswirken. Ich war in Frascati als Experte dabei, als das europäische Dokument für die kontinentale Ebene beraten wurde. In vielen Rückmeldungen haben wir gesehen, dass der Synodale Weg in Deutschland als Beispiel genannt wurde für die Kreise, die versuchen, sich nicht an der Weltsynode zu beteiligen und ihren eigenen Weg zu gehen. Ich glaube nicht, dass das Auswirkungen auf den Ablauf der Weltsynode an sich hat, aber man ist sich des Konfliktes durchaus bewusst.
Ich glaube aber nicht, dass das der einzige Grund ist, warum man in Rom kritisch ist. Das geht viel tiefer und wurde ja auch in den Briefen und den Gesprächen beim Ad-limina-Besuch sehr gut artikuliert. Es gibt Bedenken auf ekklesiologischer Ebene und die sind sehr ernst und real. Hier geht es nicht um Fragen des Kirchenrechts, das liegt tiefer. Es geht um die Grundfrage: Was macht die katholische Kirche katholisch?
DOMRADIO.DE: Aber es geht nicht wirklich um den Inhalt des Synodalen Weges oder der Reformen? Die Rückmeldungen zur Weltsynode zeigen ja, dass die Grundfragen, die Wünsche nach Reform in vielen Ländern ähnlich sind. Mehr Rechte für Frauen, mehr Anerkennung für Homosexuelle. Das sind ja auch die Grundanliegen des Synodalen Weges.
Ivereigh: Genau. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Viele Deutsche sagen mir: Mir müssen diesen Schritt sofort und jetzt gehen, weil wir nicht auf die Weltkirche warten können. Das ist die letzte Chance für die Kirche. Wenn wir nicht sofort reagieren, werden uns die Gläubigen davonlaufen. – Diese Sprache klingt fast schon nach Erpressung, das ist im falschen Geist geäußert. Natürlich verstehe ich die Ungeduld bei Reformen. Es geht aber nicht nur um die Reform an sich, sondern auch die Frage, wie wir die Kirche reformieren.
Wir haben einen Papst, der ein großer Reformer ist, wie ich in meiner Papstbiografie schrieb. Reform ist ein Herzensthema für ihn. Wir alle wissen, dass der Missbrauchsskandal grundlegende Fragen des Umgangs mit Macht und Autorität in der Kirche aufgeworfen haben. Es muss sich etwas ändern, ganz klar. Die Frage ist: Wo liegt die Macht für diese Veränderung? Wenn wir den Papst ernst nehmen, dann müssen wir auch zugeben, dass diese Macht im Endeffekt nicht bei uns Menschen liegt, sondern in der Gnade Gottes. Diese Gnade kommt aus der Umkehr, der Suche nach Wahrheit und auch einer gewissen Demut, dass wir nicht alle Antworten kennen. Dieser Mangel an Demut scheint dem Papst Sorgen zu bereiten und nicht nur ihm. Wer bei Reform nur an Strukturen, Gesetze und die Machtverteilung denkt, hat den falschen Ansatz.
DOMRADIO.DE: Sie verfolgen seit Jahrzehnten schon den Vatikan. Deutschland wird im Moment als Speerspitze der progressiven Weltkirche wahrgenommen. Ist das neu? Wie hat sich diese Beziehung zwischen Deutschland und dem Heiligen Stuhl verändert mit der Zeit?
Ivereigh: Ich kann mich noch sehr gut an den Streit um die Schwangerenkonfliktberatung in den späten Neunzigern erinnern, damals die Konfrontation zwischen Karl Lehmann und dem Vatikan. Oder der Streit zwischen den Kardinälen Kasper und Ratzinger. Streit rund um Deutschland ist in der Kirche nichts Neues. Als ich 2014 und 2015 die Familiensynode verfolgt habe, ist mir klar geworden, dass der Konflikt zum großen Teil nicht zwischen Deutschland und dem Vatikan, sondern innerhalb der deutschen Kirche ausgefochten wird. Interessanterweise wurde er in diesem Fall auch innerhalb der deutschen Kirche beigelegt.
Die deutsche Kirche ist zweifelsohne sehr bedeutend, kirchenpolitisch und theologisch. Deutschland hat da eine große Tradition und liegt ganz natürlich im Kern dieser Diskussionen. Aber es gibt keinen "deutschen Standpunkt", auch jetzt nicht. Die deutsche Kirche in sich ist sehr gepalten, auch wenn es eine klare Mehrheit für die Reformen des Synodalen Weges gibt. Trotzdem gibt es eine deutliche Minderheit, die sich dagegen ausspricht.
DOMRADIO.DE: Also kann man zusammenfassen: Die Deutschen spielen eine wichtige Rolle bei der Kirchenreform, ihnen fehlt aber manchmal die Demut, auch auf andere Stimmen zu hören?
Ivereigh: Ich bin der letzte, der die wundervollen Errungenschaften der Kirche in Deutschland kritisiert. Ich habe große Hochachtung und Respekt. Manchmal denke ich aber doch, wenn es in Deutschland eine Untugend gibt – nicht nur in der Kirche –, dann ist das alles im Abstrakten zu betrachten, quasi ein deutscher Idealismus. Das kann zum Problem werden, weil das zu heftigen, hochintellektuellen Debatten führt, über Themen, die erst Sinn machen, wenn man sie in der Praxis anwendet.
Meine britische Bitte an die deutsche Kirche wäre also: Geht eure Probleme konkreter an, und weniger im Abstrakten, weil sie abstrakt im Endeffekt nicht gelöst werden können. Das haben wir zum Beispiel genauso in der Familiensynode gesehen, als die Lateinamerikaner gegenüber den Deutschen ziemlich ungeduldig wurden, weil sie eben nicht ewig diskutieren, sondern diese Probleme einfach auf praktischer, pastoraler Ebene angehen.
Auf der anderen Seite können wir alle daran gewinnen, wenn der deutsche Prozess Erfolg hat, da die Fragen, die dort mit einer großen Motivation und Überzeugung gestellt werden, auf lange Sicht ein wichtiger Beitrag in der Weltkirche sein werden. Die Herausforderung ist nur, wie wir das Beste aus diesem Prozess in die Weltsynode einbinden können und dann – auf synodalem Wege – einen gemeinsamen Weg nach vorne finden.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.