Experten fordern Kurswechsel beim Organspenden-Gesetz - Kein "Nein" soll ein "Ja" bedeuten

Kommt die Widerspruchslösung?

Führende Experten drängen erneut auf eine Novellierung des Transplantationsgesetzes von 1997. Andernfalls werde es kaum gelingen, den Mangel an Spenderorganen in Deutschland zu beheben. Statt festgestelltem Hirntod soll in Zukunft der Herz-Kreislauf-Stillstand als Kriterium für eine Todesfeststellung gelten - und Organentnahmen erlauben. Und: Wer eine Spende nicht ausdrücklich ablehnt, soll automatisch als Spender gelten. Davor warnt die Kirche.

 (DR)

Die Politik müsse «die Büchse der Pandora öffnen, auch wenn es schwierig ist», sagte der Präsident der Stiftung Eurotransplant, Bruno Meiser, am Mittwoch in Berlin. Bei einer Fachkonferenz der Unionsfraktion plädierte auch der Berliner Herz-Spezialist Roland Hetzer für einen Kurswechsel von der derzeitigen erweiterten Zustimmungsregelung zu einer Widerspruchslösung.

Als Kriterium für eine Todesfeststellung vor einer Organentnahme sollte nach Ansicht Meisers nicht mehr der Hirntod dienen, sondern - wie auch in anderen europäischen Ländern - der Herz-Kreislauf-Stillstand. Diese Änderung solle man trotz der Warnungen von «Bedenkenträgern» vornehmen. Zudem plädierte der Münchener Herzchirurg dafür, einen möglichen Widerspruch gegen eine Organentnahme auf der neuen Gesundheitskarte zu registrieren. So werde jeder mit der Frage einer Organspende konfrontiert und erfahre dabei Beratung durch seinen Hausarzt.

Derzeit warten rund 12.000 Menschen in Deutschland dringend auf ein lebensrettendes Organ wie Herz, Lunge, Leber oder Niere. Dem stehen pro Jahr nur 4.000 gespendete Organe gegenüber. Nach Expertenangaben sterben jährlich weit mehr als tausend Menschen, weil für sie kein Spenderorgan zur Verfügung steht.

Hetzer lobte ausdrücklich die Stellungnahme des Nationalen Ethikrats zur Organspende. Das Gremium hatte im Sommer 2007 in seiner letzten öffentlichen Stellungnahme einen Umstieg auf das Stufenmodell einer Widerspruchslösung empfohlen und war dafür von der Politik heftig kritisiert worden.

Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), Günter Kirste, äußerte sich zu den Forderungen von Meiser und Hetzer nicht. Er plädierte aber gleichfalls für Veränderungen bei den gesetzlich vorgegebenen Entscheidungswegen für Organspenden. Die jetzige Struktur sei zu komplex und zu aufwendig.

Sowohl die Fachmediziner als auch die Bundesärztekammer warnten bei der Veranstaltung vor wachsender Bürokratie durch das geplante EU-Organspendegesetz. Zu befürchten sei, dass es unter dem «Deckmantel der Qualitätssicherheit» zu einem tiefen Einschnitt in bewährte Praxis kommen solle, so der Hauptgeschäftsführer der Bundesärztekammer, Christoph Fuchs. Auch der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Georg Baum, sagte, die EU-Pläne würden zu weiterer Verunsicherung führen. So halte die DKG überhaupt nichts davon, die Verteilung von Spenderorganen stärker zu zentralisieren.

Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) ging in seiner Einleitung auf die Sorge vieler Menschen ein, als Ersatzteillager benutzt zu werden. Politik und Medizin müssten diese Bedenken ernst nehmen und intensiver für Organspenden werben und darüber aufklären. Kauder äußerte sich allerdings kritisch zur Empfehlung des Ethikrats, auf eine Widerspruchslösung zu setzen. Ein solcher Systemwechsel könne in der Gesellschaft die Bereitschaft zur Organspende sogar noch verringern.

Was sagt die Kirche?
Die Deutsche Bischofskonferenz und der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland haben im Jahr 1990 eine gemeinsame Erklärung zur Organtransplantation herausgegeben. Seitdem haben in beiden Kirchen (parallel zu den Diskussionen um den Entwurf für ein Organtransplantationsgesetz) auf allen Ebenen Auseinandersetzungen über diese Thematik stattgefunden, besonders zur Frage des Todes. Beide Kirchen haben die Verabschiedung des Transplantationsgesetzes 1997 begrüßt und nochmals betont, dass die Organspende ein Akt der Nächstenliebe sein kann.

In der gemeinsamen Erklärung von 1990 heißt es unter anderem: "Nach christlichem Verständnis ist das Leben und damit der Leib ein Geschenk des Schöpfers, über das der Mensch nicht nach Belieben verfügen kann, das er aber nach sorgfältiger Gewissensprüfung aus Liebe zum Nächsten einsetzen darf."
"Wer für den Fall des eigenen Todes die Einwilligung zur Entnahme von Organen gibt, handelt ethisch verantwortlich, denn dadurch kann anderen Menschen geholfen werden, deren Leben aufs Höchste belastet oder gefährdet ist. Angehörige, die die Einwilligung zur Organtransplantation geben, machen sich nicht eines Mangels an Pietät gegenüber den Verstorbenen schuldig. Sie handeln ethisch verantwortlich, weil sie ungeachtet des von ihnen empfundenen Schmerzes im Sinne des Verstorbenen entscheiden, anderen Menschen beizustehen und durch Organspende Leben zu retten. Aus christlicher Sicht ist die Bereitschaft zur Organspende nach dem Tod ein Zeichen der Nächstenliebe und Solidarisierung mit Kranken und Behinderten."

Prinzipiell wird die Organspende also begrüßt, allerdings warnt die Kirche vor einem Druck zur Spende. Der Berliner Kardinal Sterzinsky betont, die Entscheidung dafür oder dagegen müsse dem Einzelnen oder seinen Angehörigen überlassen bleiben. Auch das Votum gegen eine Organspende sei absolut zu respektieren.

Auch der katholische Moraltheologe Prof. Johannes Reiter warnt vor einer "ethisch sehr bedenkliche Widerspruchslösung". Damit werde in unzulässiger Weise das fortwirkende Persönlichkeitsrecht des Verstorbenen überspielt.

Der Theologe beklagt einen Trend zur Vereinnahmung des Einzelnen durch die Gesellschaft. Er plädiert dafür, schon den Ansätzen einer staatlichen Reglementierung der Privatsphäre entgegenzuwirken. Organspende müsse auf absoluter Freiwilligkeit beruhen.