"Rote Laterne" oder Schlusslicht - in heftigen Diskussionen der vergangenen Wochen ist das Ruhrgebiet als Wirtschaftsstandort nicht gerade gut weggekommen. Bundestagspräsident Norbert Lammert hatte in einem Interview den Vorwurf erhoben, dass das Revier "weit unter seinen Möglichkeiten" bleibe. In der Katholischen Akademie "Die Wolfsburg" in Mülheim legte er am Freitagabend nach: Er warf der Region zu starkes Beharrungsvermögen vor.
Kaum Verbesserungen
Die Neigung zu glauben, sich auf dem richtigen Weg zu befinden, sei ihm Ruhrgebiet stark ausgeprägt, kritisierte der aus Bochum stammende CDU-Politiker. Die wirtschaftlichen Daten hätten sich aber in den vergangenen 25 Jahren "kaum verbessert". Viel zu lange habe man geglaubt: Weil das Ruhrgebiet die einstige Kraftzentrale des Landes war, müsse man nur lang genug an dieser Kraft festhalten. "Dies war ein gut gemeintes Missverständnis", so Lammert.
Mit ihm diskutierten Thomas Lange, Vorsitzender des Vorstands der National Bank und Co-Moderator des Unternehmensbündnisses Initiativkreis Ruhr, und der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck, der auch den Titel "Ruhrbischof" trägt. Lange teilte weitgehend die Einschätzung von Lammert und widersprach ihm nur in einem einzigen
Punkt: Die Situation der kleineren und mittleren Unternehmen sei gut. Ansonsten mahnte auch er Handlungsbedarf an. Dass das Ruhrgebiet ein Imageproblem habe, darin waren sich die Podiumsteilnehmer einig. Und es war der Bank-Vorstand, der festhielt: Die Wahrnehmung einer Region hat große Bedeutung für Investitionen.
Große Potenziale
Darauf nur mit einem neuen Slogan, einer Imagekampagne zu reagieren, reiche allerdings nicht, erklärten sowohl der Ruhrbischof wie auch der Bundestagspräsident. Wenn schon ein Slogan, dann müsse er jedenfalls weg vom Ruhrgebiet als Region des Steinkohle-Bergbaus, befand Overbeck. "Den kennen die meisten jungen Leute nicht mehr." Stattdessen sollten die großen Potenziale, über die das Revier zweifelsfrei verfüge, nach vorn gebracht werden: die Bildung, Universitäten, Fachhochschulen, die kulturelle Landschaft, Krankenhäuser oder die regionale und globale Vernetzung.
Lammert warnte davor, vor allem in weiterer finanzieller Förderung den Ausweg zu suchen. Er hatte dies zuvor schon als in der Region gepflegte "Lebenslüge" gegeißelt. Stattdessen müssten die Potenziale mobilisiert und gebündelt werden. Denn nur da, wo das Ruhrgebiet vorhandene Kräfte zusammenbringe, "sind die Erfahrungen ermutigend".
Als Beispiele genannt wurden das weltweit renommierte Klavierfestival Ruhr, das mehrere Städte einbezieht, die Universitätsallianz Ruhr und das Kulturhauptstadtjahr Ruhrgebiet 2010. Dagegen fehle ein regional aufgestelltes öffentliches Nahverkehrskonzept seit Jahrzehnten. Und vor allem fehle, beharrte Lammert, eine politische Verfassung, die das Potenzial strukturell bündele, und ein Repräsentant dafür.
Furcht vor Machtverlust
"Wenn die Oberbürgermeister von Oberhausen und Bottrop etwas vorbringen, dann wird das routiniert zur Kenntnis genommen." Wenn aber ein Vertreter für die größte deutsche Stadt, nämlich das Ruhrgebiet, sprechen würde, wären die Verhältnisse anders. Als ein Hindernis machte der Politiker Furcht der Akteure vor einem Machtverlust aus; Oberbürgermeister wollten nun mal Befugnisse nicht verlieren.
Am Ende jedoch blickten die Diskussions-Teilnehmer optimistisch nach vorn. Lange erinnerte an die große Ausstellung "China 8", an der 9 Museen an Rhein und Ruhr 2015 beteiligt waren. Nun wolle China in Peking mit einer ebenso großen Kunstausstellung "Deutschland 8" antworten. Auch dies zeige, dass das Ruhrgebiet zwar mehr an strukturiertem Vorgehen brauche, dass aber jenseits davon bereits eine ganze Menge an Bewegung und Entwicklung möglich sei.