Experten warnen vor Nahrungsmittelkrise

Wermutstropfen zu Erntedank

Mit Früchten geschmückte Altäre, mit Ähren und Blumen gewundene Erntekränze in vielen Kirchen, eine Korn-Ähre vor blauem Himmel auf der ersten Sonderbriefmarke: Wie immer begleiten farbenprächtige Bilder das Erntedankfest. Doch auch sie können am Sonntag nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Ernte 2010 weltweit unter erschwerten Bedingungen eingefahren wurde.

Autor/in:
Christoph Arens
 (DR)

Auch in Deutschland waren es schlechte Witterungsverhältnisse, die die Nahrungsmittelproduktion erschwerten. Weltweit aber droht eine neue Hungerkrise durch steigende Preise, Spekulation mit Nahrungsmitteln und fruchtbaren Böden. Nach Angaben der Welternährungsorganisation FAO sank die Zahl der Hungernden zwar zuletzt - allerdings von einem Höchst-Niveau von mehr als einer Milliarde auf nun 925 Millionen.



Auf "zwei große Wermutstropfen" in Deutschland weist der Verband Deutscher Mühlen (VDM) hin: Bei der Getreidequalität sei die diesjährige Ernte die schlechteste seit Jahrzehnten, sagte Hauptgeschäftsführer Manfred Weizbauer. Zugleich habe sich die Konkurrenz zwischen Getreide für Nahrungsmittel und zur Energieerzeugung wieder verschärft. Zum Jahresende werden nach VDM-Angaben bereits 18 Prozent der Ackerfläche für Getreide zu Energiezwecken verwendet. "Diese besonders hochwertigen Böden sind dann für mehrere Jahre dem Ernährungszweck entzogen", so Weizbauer.



Auch Deutschlands Obstbauern erwarten ein deutliches Minus: Im Vergleich des vergangenen Jahrzehnts sei die Ernte 2010 besonders schlecht, so das Statistische Bundesamt mit Blick auf die Apfelernte, die 830.000 Tonnen betragen wird - 22 Prozent weniger als 2009, als 1,1 Millionen Tonnen geerntet wurden. Als Gründe nennen die Experten die lang anhaltende Kälte im Frühling, starke Regenfälle im Mai und die große Hitze im Frühsommer.



Abhängigkeit der Menschheit von Natur und Wetter

Nach Meinung von Bauernpräsident Gerd Sonnleitner zeigen diese Zahlen deutlich die Abhängigkeit der Menschheit von Natur und Wetter. Auch die Kirchen verweisen zum Erntedankfest darauf, dass es nicht allein in der Hand des Menschen liege, über ausreichend Nahrung zu verfügen. Sie danken deshalb Gott "für die Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit". Und sie appellieren an die Bürger, sorgsam mit Nahrungsmitteln umzugehen.



Dazu ruft in diesem Jahr auch Bundesernährungsministerin Ilse Aigner (CSU) auf. Vor den bundesweiten "Geschmackstagen", die bewusst mit dem Erntedankfest am Sonntag beginnen, fordert sie eine "höhere Wertschätzung" für heimische Lebensmittel. Viele Verbraucher wüssten gar nicht mehr, "was in unseren heimischen Produkten steckt". Das Bewusstsein der Verbraucher für gesunde Ernährung, Esskultur und heimische Lebensmittelproduktion solle geschärft werden.



Wichtige Ziele, die allerdings mit Blick auf viele Drittweltländer wie ein Luxusproblem wirken: So warnt der Präsident des Berliner Humboldt Forums für Ernährung und Landwirtschaft, Harald von Witzke, vor einer neuen Welternährungskrise durch hohe Preise für Agrargüter. Die Preise könnten in wenigen Jahren bis zu doppelt so hoch sein wie zu Beginn des letzten Jahrzehnts, so der Wissenschaftler.



Nahrungsbedarf wird sich verdoppeln

Nach seinen Schätzungen wird sich der globale Nahrungsbedarf in den kommenden 50 Jahren nahezu verdoppeln. Bereits heute stürben aber 16.000 Kinder täglich an den Folgen von Unterernährung, so von Witzke. Auch nur mäßige Erhöhungen der Preise verschlechterten die Ernährung der Armen dramatisch. Denn die Hungernden müssen oft mehr als 75 Prozent ihres Einkommens für Nahrung ausgeben.



Von Witzke empfahl Investitionen in die landwirtschaftliche Infrastruktur und Ausbildung sowie einen besseren Zugang zu Mineraldünger, Saatgut und Pflanzenschutz in den Entwicklungsländern. Notwendig sei zudem die Förderung der Agrarforschung, um Produktionssteigerungen auch längerfristig abzusichern.