Einer, der die Chancen und ethischen Konflikte kennt, ist Burkhard Schauf, Chefarzt der Frauenklinik Bamberg.
KNA: Professor Schauf, welches Ziel verfolgt die Pränataldiagnostik?
Burkhard Schauf (Chefarzt der Klinik für Frauenheilkunde am Klinikum Bamberg mit Schwerpunkt Pränataldiagnostik und Fetalmedizin): Unser Ziel ist es zu überprüfen, ob die Schwangerschaft sich normal entwickelt und zu schauen, ob Kinder, die sich im Mutterleib nicht richtig entwickeln, vielleicht eher entbunden werden müssen oder sonstige besonderen Hilfen brauchen. Nur bei einem kleinen Teil von etwa zwei Prozent meiner Patienten stellt sich irgendwann die Frage, ob die Schwangerschaft fortgeführt werden soll oder nicht.
KNA: Worin sehen Sie die Chancen der Untersuchungsmethoden?
Schauf: Im Rückblick auf gut 20 Jahre können wir feststellen, dass wir vielen Kindern heute helfen können, deren Krankheiten früher nicht entdeckt wurden und die deshalb im Mutterleib verstarben oder mit schweren Schäden geboren wurden. Auf der anderen Seite erwarten die Patienten von uns oft übermäßig viel, nämlich die Aussage, dass mit dem Kind «alles» gut ist. Dies lässt sich niemals mit einer Pränataldiagnostik sagen.
KNA: Wo liegen diagnostische und therapeutische Grenzen?
Schauf: Wir sehen sehr viel, auch Fehlbildungen, und dass sich Kinder nicht gut entwickeln. Daraus lassen sich oft Therapien ableiten. Aber ob etwa ein Kind nach der Geburt gut Englisch kann, werden wir niemals vorgeburtlich feststellen können. Genauso gibt es auch heute noch Erkrankungen, die wir nicht hinreichend behandeln können und wo Kinder trotz aller Voruntersuchungen mit Schäden geboren werden.
KNA: Besteht nicht die Gefahr, dass aus einer Schwangerschaft nichts anderes mehr wird als ein überwachtes Projekt zwecks Ausschluss jeglichen Risikos?
Schauf: Es ist heute durchaus so, dass eine Schwangere schon in der achten Woche aus ihrem sozialen Umfeld gesagt bekommt, was sie alles essen darf oder nicht oder worauf sie zu achten hat. Die eigentlich unbeschwerte, glückliche Schwangerschaft ist für Frauen sehr schwierig. Dazu kommt, dass eine Unzahl an pränataldiagnostischen Methoden angeboten wird. Ein Laie kann nicht überblicken, ob sie wirklich Sinn ergeben. Hier sehe ich auch meine Aufgabe, Schwangere durch dieses Dickicht der Diagnostik zu geleiten und zu erfragen, was für sie das Richtige ist.
KNA: Ist die Pränataldiagnostik ein Werkzeug der Selektion?
Schauf: Das kann ich in keinster Weise nachvollziehen. Zu uns werden die Frauen vom niedergelassenen Frauenarzt überwiesen, wo in aller Regel vorher schon thematisiert wurde: Was möchte diese Frau? Möchte sie wissen, ob sie ein Kind mit Trisomie 21 erwartet, oder könnte sie ein solches Kind akzeptieren, wie der Herrgott es ihr gegeben hat?
Dementsprechend ist es weniger eine Selektion als eher das Eingehen auf berechtigte Wünsche des schwangeren Paares.
KNA: Ein weiterer Vorwurf könnte lauten, dass die pränatalen Untersuchungen zu einem lukrativen Markt geworden sind, Gewinn also vor Nutzen steht. Ist das so?
Schauf: Das gilt nicht für meine Praxis. Die Pränataldiagnostik an sich, also der Ultraschall, kostet noch am wenigsten. Die humangenetischen Analysen, die Labormedizin, das ist das, was zu Umsätzen führt. Wenn natürlich jemand eine Humangenetik und eine Pränataldiagnostik betreibt, so ist nicht auszuschließen, dass bei dem einen oder anderen doch dahinter steht: Wenn ich diesen Eingriff mache, dann bekomme ich auch mein Labor ausgelastet.
KNA: Mit fast hundertprozentiger Sicherheit lässt sich Trisomie 21 diagnostizieren. Entsprechend hoch sind die Abtreibungszahlen bei Kindern mit Down-Syndrom. Wo bleibt die Werteordnung?
Schauf: Wenn ich eine Fruchtwasseruntersuchung vornehme, dann erwarte ich von den Eltern, dass sie sich vorher damit beschäftigen: Wie würden sie mit der Diagnose Trisomie 21 umgehen? Eine wirklich relativ hohe Zahl von Eltern sagt zumindest hier in Bamberg: Das würden wir akzeptieren. In einem solchen Fall mache ich keine invasive Diagnostik. Frauen, die sich dieser bewusst unterziehen, für die steht zumindest die Beendigung der Schwangerschaft zur Diskussion.
KNA: Aber wie sieht es mit der Werteordnung aus?
Schauf: Wenn ich mir meine Kollegen vor Augen halte und die Diskussionen auf Kongressen, wann ein Abbruch vertretbar ist, so ist in Deutschland doch die vorherrschende Meinung, dass ein nicht lebensfähiges Kind einen Abbruch rechtfertigt. Bei einem Kind mit einer nicht kurierbaren Störung, etwa mit einem sehr schweren Herzfehler, das sich multiplen Operationen nach der Geburt unterziehen muss und wo die Überlebensfähigkeit gering ist, da ist ein Abbruch auch in meinen Augen durchführbar. Voraussetzung jedoch ist, dass die Eltern für sich entscheiden, dies ihrem Kind ersparen zu wollen.
KNA: Sollten medizinisch-technische Möglichkeiten nicht in erster Linie dem Erhalt und der Würde des menschlichen Lebens dienen?
Schauf: Genau dafür ist die Pränataldiagnostik da. Mit ihr können wir frühzeitig schwerste Schäden bei Kindern entdecken und auch verhindern, dass sie schon im Mutterleib sterben müssen. Das trifft bei 98 Prozent meiner Patienten zu. Über anderes lässt sich wunderbar diskutieren, es trifft aber nur auf eine Minderheit zu. Am Ende betrachtet, rettet die Pränataldiagnostik sehr viel mehr Kinder, als dass sie ihr Leben beendet.
KNA: Rückt Pränataldiagnostik nicht nahe an den Versuch heran, den Menschen zu optimieren und Kinder nach bestimmten Eigenschaften auswählbar zu machen?
Schauf: Wir leben zum Glück in Deutschland, und in Deutschland ist es verboten, nach blauen Augen zu suchen oder auch nach Erkrankungen, die sich erst nach dem 18. Lebensjahr manifestieren wie etwa Chorea Huntington. Und ich bin froh, dass es in Deutschland so ist. Von daher: Solange wir hier in einem Rechtssystem dieser Art leben, ist die Möglichkeit, Menschen zu optimieren und Kinder nach bestimmten Eigenschaften auszuwählen, schlicht verboten, und das ist auch gut so.
Das Interview führte Marion Krüger-Hundrup.