DOMRADIO.DE: Sie bieten Menschen Beratung an, die nicht wissen, wie sie mit verschwörungsgläubigen Personen in ihrem direkten Umfeld umgehen sollen. Wer kommt da zu Ihnen?
Tobias Meilicke (Projektleiter der Beratungsstelle Veritas beim Verein "cultures interactive"): Bei uns meldet sich vor allem das familiäre nahe Umfeld. Das sind Partnerinnen, Ehefrauen, das sind Kinder, deren Eltern vielleicht auch schon im Rentenalter sind und jetzt an Verschwörungserzählungen glauben. Das sind aber auch Personen wie Geschwister, enge Freunde - alles, was im nahen Umfeld ist - die einfach auch den Kontakt zu ihren Liebsten halten wollen, aber feststellen, sie können gar nicht mehr aufeinander zugehen, weil dieses Thema so brisant ist und immer mit Streit und Frustration verbunden ist.
DOMRADIO.DE: Anfang des Jahres ist dieses Projekt gegründet worden - deutschlandweit das erste mit einem solchen Schwerpunkt. War die Pandemie mit all den Verschwörungsmythen, die wir da immer wieder hören, tatsächlich der Grund?
Meilicke: Ja, indirekt schon. Wir haben festgestellt, dass im Internet nicht nur ganz viele Verschwörungstheorien verbreitet werden, sondern dass da auch ganz viele Betroffene ihr Leid klagen, die nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen und wo sie sich hinwenden können. Da haben wir gesagt, es braucht ein Beratungsangebot, und das ist dann entstanden. Inzwischen sind auch in einigen anderen Bundesländern andere Beratungsstellen dazu entstanden.
DOMRADIO.DE: Wir müssen vielleicht mal klären, was man generell genau unter Verschwörungsmythen oder auch Verschwörungserzählungen versteht.
Meilicke: Bei Verschwörungserzählungen handelt es sich um einen Blick auf die Welt, der Weltgeschehen damit begründet, dass im Hintergrund immer irgendwelche als mächtig wahrgenommene Eliten agieren, ihre eigenen Interessen versuchen durchzusetzen und damit auch den Schaden von großen Bevölkerungsteilen in Kauf nehmen. Und das Ganze passiert natürlich immer im Geheimen.
DOMRADIO.DE: Warum glauben die Menschen an solche Verschwörungserzählungen? Was sind das für Motive? Was stellen Sie da fest?
Meilicke: Wenn man sich Verschwörungserzählungen zuwendet, gibt es zwei zentrale Motive, die ganz prägend sind. Das eine ist, dass Menschen, die ein Ohnmachtsgefühl oder einen Kontrollverlust erleben, sich Verschwörungserzählungen zuwenden. Das ist etwas, was wir vielleicht auch alle in der Pandemie verstärkt erlebt haben.
Die Idee, dass ein kleines Virus durch Zufall entstanden ist und so existenziell in unser Leben eingreift - auch mit politischen Maßnahmen, die unser Leben beschränken - ist erst mal ganz schwer auszuhalten. Und es führt natürlich auch zu einer hohen Stressbelastung bei vielen Menschen - mit Homeschooling, mit der Frage von möglichem Jobverlust oder der Frage: "Sterben meine Eltern möglicherweise, weil die auch schon im fortgeschrittenen Alter sind".
Verschwörungstheorien helfen, mit dieser Belastung umzugehen. Denn sie schaffen eine Begründung dafür, warum die Welt so ist, wie sie ist. Das ist keine Begründung, die auf Zufall basiert, sondern es gibt Menschen im Hintergrund, die das Ganze praktisch, politisch nutzen wollen, die das erfunden haben, die vielleicht auch das Virus als Kampfmittel erfunden haben. Wenn ich weiß, dass Menschen dahinter stecken, dann habe ich das Gefühl, ich kann dagegen was machen. Ich kann mich dagegen wehren, ich kann Aufklärung leisten und so weiter. Das ist das eine Motiv.
Und das zweite, was wir verstärkt sehen, ist, dass es auch ganz viel mit Selbstwert-Thematiken zu tun hat. Es neigen oft die Menschen dazu, sich Verschwörungserzählungen zuzuwenden, die einen geringen Selbstwert empfinden, die vielleicht auch selber Diskriminierungs-, Ausgrenzungs- oder Mobbingerfahrungen gemacht haben und die mithilfe von Verschwörungserzählungen jetzt ihren Selbstwert aufwerten können. Auf einmal gehören sie zu einer besonderen Klasse von Menschen, die verstanden hat, wie die Welt funktioniert, die den anderen überlegen ist und jetzt Aufklärung leisten kann. Damit wird der Selbstwert erhöht. Das sind zwei der sozialen Motive, warum sich Menschen Verschwörungserzählungen zuwenden.
DOMRADIO.DE: Das unmittelbare Freundes- und Familienumfeld solcher Verschwörungserzählung kommt zu ihnen. Das kann ja zum Teil bei Partnern richtig stressig werden, bis zur Scheidung führen, wenn da überhaupt kein Zugang mehr ist. Was können Sie dann überhaupt raten?
Meilicke: Das ist ein ganz großes Thema, dass viele bei uns ankommen und sagen: "Ihr seid eigentlich meine letzte Chance. Ich weiß gar nicht mehr, wie es weitergeht." Worüber wir dann sprechen, ist zum einen: "Wie kann Stressentlastung passieren? Wie kannst du auch dem Thema Verschwörungserzählungen Grenzen setzen?" Was wir ganz oft erleben, ist, dass Partner und Partnerinnen dazu neigen, sich den ganzen Tag den Erzählungen des Partners hinzugeben, auch teilweise überfordert damit sind, aber keine Grenzen markieren können. Es ist total wichtig, dort Grenzen zu markieren, um auch klar zu machen, wo der eigene Standpunkt ist und selber sichtbar zu werden.
Das zweite, was wir immer sagen, ist: Wir raten davon ab, Fakten-Diskussionen zu führen, also sich irgendwelche Statistiken rauszusuchen und zu sagen: "Das ist ja falsch, was du glaubst. Und ich präsentiere jetzt meinen Blick der Welt." Das wird nicht funktionieren. Jemand, der sich ein Weltbild um Verschwörungserzählungen gebastelt hat, der knüpft dieses Weltbild ganz stark an sein Selbstbild und sieht eine Konfrontation mit anderen Fakten oft als Angriff auf sich selbst. Davon raten wir also ab.
Wozu wir raten, ist, auf der Gefühlsebene ins Gespräch zu kommen. Also, wenn mir jemand mit Verschwörungserzählungen ankommt, zu sagen: "Du, ich merke, das ist mir gerade ein total wichtiges Thema und ich merke auch, dass dir wichtig ist, dass ich das verstehe. Das zeigt mir, wie sehr du mich magst. Es zeigt mir aber auch, dass du ganz große Ängste hast. Und jetzt lass uns über diese Ängste ins Gespräch kommen und das, was uns verbindet, auf der Gefühlsebene." Denn das bringt oft viel, viel mehr.
Es haben auch ganz viele Statistiken gezeigt: Wir Menschen verändern uns nicht aufgrund von Faktenlagen, sondern aufgrund von emotionalen Erfahrungen. Die können durch solche Gespräche auch hervorgerufen werden.
Das Interview führte Carsten Döpp.