Moraltheologe zum Vatikan-Dokument über Gender-Theorie

Fakten vs. Ideologie?

Das Dokument der Bildungskongregation des Vatikans zur Gender-Debatte steht weiter in der Kritik. Fördert es Diskriminierung? Für den Moraltheologen Peter Schallenberg ist es Ausdruck der Sorge, dass Eltern und Schulen bevormundet werden.

Gendersternchen im Europawahlprogramm der Grünen  / © Doreen Garud (dpa)
Gendersternchen im Europawahlprogramm der Grünen / © Doreen Garud ( dpa )

DOMRADIO.DE: Der Leiter der Bildungskongregation, Kardinal Versaldi, rechtfertigt das Dokument damit, dass Verantwortliche von katholischen Bildungseinrichtungen mit einer Gender-Ideologie konfrontiert würden. Wie muss man sich das überhaupt vorstellen?

Prof. Peter Schallenberg (Paderborner Moraltheologe): Hier wird unter Ideologie ein bestimmtes Programm verstanden, das sich von den Fakten löst. Der Vatikan will zum Ausdruck bringen: Faktisch ist der Mensch Mann oder Frau, abgesehen von knapp einem Prozent, wo die Geschlechtsfühlung nicht dem äußeren biologischen Geschlecht entspricht. Als Ideologie bezeichnet der Vatikan, dass dieses Faktum aufgelöst wird zugunsten dessen, was wir Gender nennen. Ein Fühlen und Wählen des empfundenen Geschlechts, möglicherweise auch unterschiedlich in verschiedenen Lebensphasen.

Der Vatikan will darauf aufmerksam machen, dass das biologische Geschlecht, das uns vorgegeben ist, die Grundlage unserer Persönlichkeit bildet. Und wir sind in unserer Persönlichkeitsentwicklung an diese biologische Geschlechtlichkeit gebunden.

DOMRADIO.DE: Die Gender-Ideologie würde in ihrer extremsten Ausprägung sagen: Es gibt keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen und jeder kann sich sein Geschlecht selber aussuchen?

Schallenberg: So könnte man es verkürzt ausdrücken. Eine der radikalsten Vordenkerinnen dieser Gender-Ideologie ist die amerikanische Soziologin Judith Butler und die würde das wohl so auf den Punkt bringen.

DOMRADIO.DE: Stellt das denn aus katholischer Sicht eine Bedrohung da?

Schallenberg: Eine Bedrohung würde ich nicht sagen, es stellt eine Herausforderung dar. Das Dokument kommt ja nicht von der Glaubenskongregation, also nicht von höchster Instanz. Deswegen ist es auch nicht im Umfeld der Verteidigung von Glaubenssätzen angesiedelt.

Es kommt von der Bildungskongregation. Und die will mit diesem Dokument darauf aufmerksam machen, dass katholische Bildungseinrichtungen das Recht haben sollen, sich Gender-Programmen zu entziehen – insbesondere Schulen, die in Ländern tätig sind, wo eine sehr starke Propagierung des Gender-Mainstreams oder sogar einer Gender-Ideologie herrscht.

DOMRADIO.DE: Das sorgt natürlich für Kritik. Homosexuellenverbände äußern zum Beispiel, dieses Papier sei ein schädliches Werkzeug, das dazu führen könne, dass katholische Familien ihr homosexuelles Kind ablehnen würden. Der Vatikan bleibe mit seiner Haltung im Mittelalter verhaftet und fördere falsche Lehren. Was kann man dem entgegnen?

Schallenberg: Es kann natürlich sein, dass aus einem solchen Dokument entsprechende Konsequenzen und Schlussfolgerungen gezogen werden, die dann zur Homophobie führen. Was ich in dem Dokument aber lese, ist die Sorge. Es wird immer betont, dass es um den Dialog geht. Es wird die Sorge geäußert, staatliche Übergriffe könnten das Recht der Eltern auf Erziehung ihrer Kinder und das Recht einer auf biologischer Geschlechtsgrundlage vollziehenden Persönlichkeitsentwicklung beeinträchtigen. Es geht eigentlich um die Abwehr von Totalitarismus. Damit ist keine Aussage verbunden, die in irgendeiner Weise Homosexualität diskriminieren oder abwerten würde. Das kommt in diesem Dokument nicht vor.

DOMRADIO.DE: Der Vatikan räumt aber bei der Erklärung dieses Dokuments ein, die Kirche müsse in dieser Debatte "allzu festgefahrenen Positionen zur Natur des Menschen korrigieren, die die kulturellen Aspekte völlig außer Acht lassen". Glauben Sie denn, dass es da zu einer sachlichen Debatte kommen kann?

Schallenberg: Ich hoffe, dass es zu einer sachlichen Debatte kommt. Und wie ich das Dokument verstanden und aufgenommen habe, ist das auch der Duktus – nicht aggressiv und polemisch, sondern auf Dialog aus.

Im Hintergrund steht, dass wir uns als katholische Kirche an die Aussagen von Genesis 1:26f gebunden sehen: der Mensch als Mann und als Frau ist das Ebenbild Gottes. Grundsätzlich liegt der Weg des Menschen in der Liebe zum anderen Geschlecht und darin, die Liebe Gottes nachzuahmen, abzubilden, zu erwidern und zu beantworten. Die Liebe zu Gott und den Menschen erlernt der Mensch durch das, was er in der Familie lernt, und durch die Ausbildung der eigenen Persönlichkeit als ein geschlechtliches Wesen.

Der Hinweis, dass zur Natur immer auch Kultur gehört und dass man versuchen muss, Natur und Kultur differenziert zu betrachten, ist sehr berechtigt. Denn natürlich hat die Gender-Debatte auch ihr Sinnvolles. Das Positive ist, dass wir darauf achten, was biologisches Geschlecht auf der einen Seite und kulturelle Ausformung auf der anderen Seite ist. Die kulturelle Ausformung hat möglicherweise auch zur Unterdrückung der Frau geführt in der Vergangenheit. Wenn es hieß, die Frau hat von Natur aus die Möglichkeit Kinder zu bekommen, deswegen soll sie auch Kinder bekommen, zu Hause sein, keine Bildungseinrichtung besuchen und so weiter – vor hundert Jahren war das ein Argument.

All das ist natürlich Quatsch und Unsinn, aber noch manchmal noch in Teilen der Welt, möglicherweise auch in kirchlichen Köpfen, präsent. Und da gilt es jetzt genau hinzugucken und zu fragen, was die Grundlage einer menschenwürdigen Kultur ist. Nach Auffassung des Dokuments und der katholischen Kirche ist das die Grundlage unserer biologischen Geschlechtlichkeit.

Das Interview führte Verena Tröster.


Prof. Peter Schallenberg / © Harald Oppitz (KNA)
Prof. Peter Schallenberg / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR