"Das ist ja unmenschlich!" Wie oft denken oder sagen wir das bei Bildern der Tagesschau und vielen Nachrichten, die uns Tag für Tag erreichen. Denken wir nur an die Zunahme roher Gewalt: Mit Worten fängt sie an, und diese senken offenbar auch die Hemmschwelle für Taten. Der rücksichtslose Egotrip scheint für manche "normal" zu werden. Und solche Entwicklungen beobachten wir in unserem weltweit hochgelobten Deutschland - von anderen Gegenden unserer Erde ganz zu schweig
In diesem Monat der Sommerferien haben viele Familien in Europa mehr Zeit füreinander. Da lenkt der Papst sehr passend unseren Blick nicht auf "die da oben, die doch mal endlich..."! So wichtig auch politische und juristische Entscheidungen sein mögen - auch "wir unten" können viel bewegen.
Familie ist wichtigster Lernort
Die kleinste Gesellschaft, die Familie, ist und bleibt der wichtigste Lernort: zur Schulung nicht irgendwelcher Fertigkeiten, die das Monatseinkommen optimieren, sondern zur Bildung der elementaren Qualitäten des Zusammenlebens. Menschlichkeit ist eben vor allem Mit-Menschlichkeit. Die Zunahme der Single-Haushalte macht - so gesehen, sehr nachdenklich. Werden wir in Zukunft immer mehr die Einsamkeit wählen, anstatt die Probleme des Zusammenlebens anzunehmen?
Klar: Familie hat sich immer gewandelt und wird sich weiter wandeln. Wenn der Apostel Paulus in seinen Briefen eine bestimmte Familie besonders grüßen lässt, dann meint er nicht Vater, Mutter und zwei Kinder, sondern eine große Hausgemeinschaft von Verwandten und sogar die Sklaven und Angestellten, für die der "pater familias" unter seinem Dach verantwortlich war.
Familie als Ideal
Vor wenigen Jahren noch galt als Ideal einer Ortsgemeinde, "Pfarrfamilie" zu werden. Und bis heute wirbt sogar die Textilbranche mit "Willkommen in der Family"! So oft bei uns Familien auch zerbrechen - die Suche nach Nähe und Geborgenheit, die Sehnsucht nach einer kleinen, überschaubaren Heimat scheint augenblicklich sogar wieder zu wachsen - trotz oder wegen der globalen Wirklichkeit.
Schön, dass Papst Franziskus das Wort "Familienalltag" verwendet. Es wehrt unrealistischen Träumen und frommem Idyll. Er scheint für möglich zu halten, dass auch in der real existierenden Familie gemeinsame Gebete den Zusammenhalt stabilisieren: etwa bei Tisch oder vor dem Zubettgehen. So darf zum Ausdruck kommen, dass wir mit der unsichtbaren Wirklichkeit leben, ohne die es nichts gäbe.
Gemeinschaft als "Schule menschlicher Reife"
Diese Wirklichkeit ist nach der tiefen Überzeugung des Papstes zuerst und zuletzt eine liebevolle. Wenn sich deshalb Jung und Alt, Stark und Schwach um "liebevollen Umgang" mühen, verlässlich zusammenhalten, auf Gewalt in Wort und Tat verzichten und auch in Stress und Streit versuchen, einander einfühlend entgegenzukommen, spüren solche Menschen etwas vom Urgrund des Lebens. Eine solche Gemeinschaft würde eine "Schule menschlicher Reife" sein.
Dass Familien allerdings keine Ähnlichkeit mit Gefängnissen und abgeschlossenen Gemeinschaften haben dürfen, lehrt uns schon das Evangelium: "Jesus ging in ein Haus, und wieder kamen so viele Menschen zusammen, dass sie nicht einmal mehr essen konnten. Als seine Angehörigen davon hörten, machten sie sich auf den Weg, um ihn mit Gewalt zurückzuholen; denn sie sagten: Er ist von Sinnen... Da kamen seine Mutter und seine Brüder; sie blieben draußen stehen und ließen ihn herausrufen... Er erwiderte: Wer ist meine Mutter, und wer sind meine Brüder? Und er blickte auf die Menschen, die im Kreis um ihn herumsaßen, und sagte: Das hier sind meine Mutter und meine Brüder." (Mk 3,31-35) Der Familienalltag in Nazareth hat ihn lernen lassen, was sein "Abba", der Vater aller Menschen, neuerdings von ihm erwartet.