KNA: Herr Becker, Sie haben die ersten 100 Tage als Präsident des Familienbundes der Katholiken hinter sich. Welche Aufgaben stellen sich für Sie?
Becker: Ich möchte den Verband weiter als ideologiefreie und hörbare Stimme der Familien führen. Der Familienbund will sich auch künftig dafür stark machen, dass Familien ihr Leben so gestalten können, wie sie es gerne möchten, also nicht in ein starres Konstrukt gezwungen werden. Als katholischer Verband sieht sich der Familienbund als Brückenbauer zwischen Kirche und Staat. In der Politik drängen wir darauf, dass bei der Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht allein die Ökonomisierung im Vordergrund stehen darf. Dabei bekommen wir immer wieder zurückgespiegelt, dass unsere Expertise sehr gefragt ist.
KNA: Welche politischen Vorhaben stehen für Sie derzeit am dringlichsten an?
Becker: Im Mittelpunkt stehen für uns jetzt vor allem die Gesetzentwürfe zur Pflegereform und Sterbehilfe. Wir wollen helfen, Antworten auf den demografischen Wandel zu finden. Auch bei der bevorstehenden Familiensynode in Rom wollen wir Stellung beziehen und befragen dazu unsere Mitglieder. Und wir haben gerade unsere Kampagne "Wir jammern nicht - wir klagen!" unter "www.elternklagen.de" gestartet. Damit wollen wir erreichen, dass für Eltern endlich Freibeträge auch in den Sozialversicherungen eingeführt werden. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts stellte bereits vor einigen Jahren eine Ungleichbehandlung fest. Die Politik ist aber noch nicht tätig geworden.
KNA: Beim Elterngeld und der Pflege wurde die Politik tätig und verabschiedete unter anderem das Elterngeld Plus und das Familienpflegegesetz. Hilft das den Familien?
Becker: Die Richtung stimmt. Die Gesetze ermöglichen den Familien im Alltag mehr Flexibilität, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Die Reform des Elterngeldes kommt vor allem Teilzeitarbeitenden entgegen. Mit Blick auf eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Pflege ist es aber noch nicht die große Lösung und trifft in vielen Teilen noch nicht die Wirklichkeit.
KNA: Warum?
Becker: Während bei vielen Firmen in den vergangenen Jahren mit Blick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein Umdenken stattfand, ist das Thema Pflege weitgehend tabu. Das neue Familienpflegezeitgesetz gibt den Pflegenden sicher einen größeren Spielraum. Es bleibt aber dabei, dass diese in einer ohnehin schwierigen Situation die finanziellen Nachteile weitgehend alleine schultern müssen. Oft rutscht man in eine Pflegesituation hinein, und vielen fällt es schwer, den Zeitpunkt zu benennen, an dem sie mit Beruf und Pflege überfordert sind. Wenn Unternehmen da nicht mehr Entgegenkommen zeigen, bekommen wir gerade mit Blick auf den demografischen Wandel ein Riesenproblem, erst recht, wenn die Baby-Boomer Jahrgänge Pflege benötigen.
KNA: Wie beurteilen Sie das Vorhaben von Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD), eine Familienarbeitszeit für Eltern mit kleinen Kindern einzuführen?
Becker: Für einen Teil der Eltern, die schnell nach der Geburt wieder in den Beruf einsteigen wollen, wäre das sicher eine Entlastung. Eltern mit Kleinkindern könnten ihre Arbeitszeit reduzieren, und der Staat käme für einen Teil des Lohnausfalls auf. Familien sollten aber weiterhin wählen können und dabei unterstützt werden - etwa, wenn sie sich entscheiden, dass ein Partner für eine Zeit ganz aus dem Beruf aussteigt. Es kann nicht nur darum gehen, dass beide Elternteile möglichst schnell an ihren Arbeitsplatz zurückkehren.
KNA: Helfen da ausschließlich weitere Reformen?
Becker: Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen miteinander im Gespräch bleiben und Lösungen finden: Der Arbeitnehmer sollte nicht ausschließlich auf Gesetze pochen, und umgekehrt kann der Arbeitgeber den Angestellten nicht nur als Verfügungsmasse sehen. Wir müssen als Verband noch stärker das Bewusstsein dafür schaffen, dass neben dem Arbeitsleben die Familie oder etwa das Ehrenamt weitere wichtige Bereiche sind, die einen hohen Stellenwert haben müssen. Das ist sicher nicht allein über finanzielle Anreize zu schaffen.
KNA: Was ist dazu notwendig?
Becker: Wir brauchen gesellschaftliche Lösungen. Es muss über die Kernfamilie hinaus zu Bündnissen etwa auf lokaler Ebene kommen, da es die traditionelle Großfamilie, die auch noch in einem Ort wohnt, oft nicht mehr gibt. Ich denke da an Mehrgenerationenhäuser oder ehrenamtliche Großelterndienste. Solche Bündnisse können das Familienleben enorm bereichern. Um dafür die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen, muss es in vielen Teilen der Gesellschaft sicher einen Mentalitätswechsel geben.
Das Interview führte Birgit Wilke