Familienhebammen sind Vertrauenspersonen der Eltern und Mittler zu Institutionen

In der Mitte

Christa Stemmermann betreut junge Eltern in Oberhausen. Sie zeigt ihnen, wie sie ihre Kinder gut versorgen können. Und sie kann rechtzeitig Hilfe holen, wenn Mütter und Väter ihr Kind gefährden.

Autor/in:
Carsten Grün
 (DR)

Vorsichtig tastet Christa Stemmermann den Bauch von Sandra vom Hofe ab. Mit einem Herz-Ton-Rohr hört sie die Herztöne des Kindes ab. "Das Kind kommt bald", sagt die Familienhebamme. Stemmermann und vom Hofe kennen sich gut und haben ein Vertrauensverhältnis aufgebaut. Seit über zwei Jahren betreut die Hebamme nun die Familie. "Ich bin froh, dass Christa mir hilft. Das ist sehr wichtig für mich. Ich bin sehr zufrieden", freut sich die 28-Jährige über die Unterstützung. Christa Stemmermann begleitet bereits seit der Geburt von Sohn Jason vor zwei Jahren Sandra vom Hofe bei der Pflege. Die nun anstehende Geburt ist die inzwischen neunte der jungen Frau.

Während Stemmermann mit ihrer Untersuchung fortfährt, erkundet der zweijährige Jason die Wohnung. Zwischen Playstation und Wäschekorb krabbelt der Junge auf dem Boden herum, begleitet von den Augen seines Vaters. Eine Autogrammkarte des Schlagersängers Michael Wendler und das Bild eines Zebras an der Wand sind so ziemlich der einzige Raumschmuck. Möbel gibt es bis auf ein Sofa kaum. Hier wird deutlich, die Familie ist arm. Die meisten der Mütter, die Stemmermann betreut, erhalten Hartz IV. "Viele der Frauen sind allein oder haben gewalttätige Partner. Manche der Männer sind durchaus bedrohlich", sagt die 45-Jährige. Angst habe sie dennoch nicht.

"Niemand weiß, warum die Sterblichkeit hier so hoch ist"
In Oberhausen ist Stemmermann zurzeit eine von zwei Familienhebammen. Beide arbeiten freiberuflich, doch das ist von Kommune zu Kommune unterschiedlich geregelt. In Bottrop zum Beispiel sind die Familienhebammen beim Gesundheitsamt fest angestellt. In Oberhausen werde für Familien mit Säuglingen viel getan, würdigt die Hebamme das Engagement der Stadt. Nach dem letzten Säuglingssterblichkeitsbericht für NRW, bei dem Oberhausen nach Mülheim an der Ruhr und Mönchengladbach an dritter Stelle der Statistik von 28 Kommunen lag, versuche die Stadt hier frühzeitig entgegen zu wirken. "Allerdings weiß niemand, warum die Sterblichkeit hier so hoch ist", erklärt Stemmermann.

Ein Jahr dauert die Fortbildung zur Familienhebamme. Voraussetzung ist die Ausbildung als Hebamme mit einer dreijähriger Berufserfahrung. In Modulen werden Themen wie Kommunikationsförderung, Familienrecht, Mutter-Kind-Bindung und Umgang mit Drogen und Gewalt behandelt. Insgesamt gibt es in NRW 66 Familienhebammen. Weitere 24 sind seit vergangenem Jahr in der Ausbildung.

Ihre Hauptaufgabe sieht Christa Stemmermann in der Gesundheitsvorsorge und der Förderung der Mutter-Kind-Bindung. Häufig seien die Mütter nicht in der Lage, Bindungen einzugehen. "Sie haben das zu Hause nicht kennengelernt. Das ist natürlich für die Kinder fatal." Die Familienhebammen sollen die Mütter dabei unterstützen, ihr Kind zu fördern. "Wir zeigen den Müttern wie man mit den Kindern spielt, vernünftig und viel spricht, damit sich die Sprache entwickelt", sagt die Familienhebamme Stemmermann.

"Es ist wichtig, möglichst früh das Vertrauen herzustellen"
Viele der Frauen hätten kaum Erfahrung in so grundlegenden Dingen wie der Zubereitung von gesunden und kindgerechten Mahlzeiten. "Ich hatte eine Klientin, die ernährte sich ihr Leben lang nur von Chips, Pizza und Süßigkeiten. Für sie war es ein echtes Problem, das Kind nach der Flasche auf feste Nahrung umzustellen", schildert die Hebamme. Auch in so einem Fall stehe sie beratend zur Seite.

Insbesondere der frühe Einsatz in den Familien ist für die Familienhebamme Grundvoraussetzung für eine gelungene Arbeit. "Es ist wichtig, möglichst früh in der Schwangerschaft den Kontakt und das Vertrauen herzustellen. Nach der Entbindung ist das viel schwieriger." Familienhebammen haben aber ein gutes Ansehen in den Familien. "Der Vorteil bei uns ist, dass wir gerngesehen sind. Wir kommen ins Haus, die Klienten müssen nicht irgendwohin."

Komme das Jugendamt, sehe das allerdings ganz anders aus, beschreibt Stemmermann ihre Arbeitssituation. Dabei baut sie auf die Zusammenarbeit mit Jugendamt, Ärzten und Drogenberatungsstellen. "Netzwerke sind in diesem Job unerlässlich." Ein Jahr nach der Geburt, wenn die Betreuungszeit zu Ende ist, vermittelt die Familienhebamme weitere Unterstützung wie Jugend- oder Familienhilfe. Allerdings muss die Mutter oder Familie hier zustimmen.

Besonders der Paragraf 8a des Kinder und Jugendhilfegesetzes
(KJHG) habe Auswirkungen auf die betreuende Arbeit der Familienhebammen gehabt, erläutert Stemmermann. "Nach solchen Geschichten wie von Kevin in Bremen hat unser Job mehr Bedeutung bekommen. Wir haben hier eine Kontrollfunktion, aber auch eine Verpflichtung, Probleme wie zum Beispiel Missbrauch oder Vernachlässigung an die Ämter weiter zu leiten." In Bremen war der Junge trotz Amtsaufsicht von der Familie vernachlässigt und 2006 im Alter von zwei Jahren verhungert. Paragraf 8a sieht vor, dass neben den Jugendämtern auch Fachkräfte der Jugendhilfe von freien Trägern wie zum Beispiel Diakonie oder Caritas zum Schutz des Kindes verpflichtet sind und Maßnahmen bei Gefährdung des Kindes einleiten müssen.

Häufig bleiben die Mütter und die Familienhebammen auch nach der Betreuungszeit in Kontakt. "Das kommt durch das gute Verhältnis. Die Frauen merken wir sind nicht nur für die Kinder da, sondern auch für die Mütter", sagt Stemmermann. Viele Frauen kennten es gar nicht, wenn man sie fragt: "Wie geht es Dir?"