Familienverband beklagt eine Bevorzugung erwerbstätiger Eltern

"Interessen der Wirtschaft spielen zu große Rolle"

Angesichts steigender Lebenshaltungskosten hat der Deutsche Familienverband deutlich mehr Unterstützung für Familien gefordert. In einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) warf Verbandspräsident Albin Nees am Freitag in Berlin der Politik eine Bevorzugung erwerbstätiger Eltern vor. Der Deutsche Familienverband ist nach eigenen Angaben die größte parteiunabhängige und überkonfessionelle Interessenvertretung von Familien in Deutschland.

Autor/in:
Christoph Scholz
 (DR)

KNA: Herr Nees, die Regierungskoalition hat sich zu einer Erhöhung von Kindergeld und Steuerfreibetrag durchgerungen - ihr Verband warnt nun vor Augenwischerei. Wieso?
Nees: Nach unserer Auffassung ist die Diskussion völlig schief.
Zunächst muss über den Steuerfreibetrag gesprochen werde. Er liegt seit 2002 unverändert bei 5.808 Euro pro Jahr und Kind. Die CDU forderte schon vor drei Jahren, ihn auf 8.000 Euro zu erhöhen. Sie orientierte sich an dem vom Statistischen Bundesamt errechneten Bedarf eines Kindes. Das entspricht auch unserer Forderung.

KNA: Auf welche Summe käme dann entsprechend das Kindergeld?
Nees: Bei bisheriger Relation müsste es deutlich über 200 Euro liegen. Wir halten das aber für zu wenig, weil dieser Ansatz die aktuellen Lebenshaltungskosten in keiner Weise berücksichtigt.

KNA: Wie sind die Mehrbelastungen für Familien in den vergangenen Jahren gestiegen?
Nees: Wir gehen davon aus, dass die Lebenshaltungskosten sich um mindestens 40 Prozent erhöht haben. Besonders gravierend waren der drastische Anstieg der Energiepreise sowie die höhere Mehrwertsteuer seit 2007.

KNA: Das Bundesfamilienministerium geht aber auf seiner aktuellen Website weiterhin von einem Betrag von immerhin 189 Milliarden Euro für familienwirksame Leistung aus.
Nees: Die Regierung warb in der Tat lange Zeit mit diesem Betrag. Nach deutlicher Kritik unseres Verbandes gab das Bundesfamilienministerium bekannt, dass es nur rund 45 Milliarden Euro echte Familienförderung gibt - knapp ein Viertel der ursprünglich genannten Summe. Ich wundere mich also über diese Aussage im Internet.

KNA: Ein eigens gegründetes Kompetenzzentrum für familienbezogene Leistungen sollte die Hilfen bündeln, transparenter machen und wirksamer gestalten. Was sind die bisherigen Ergebnisse?
Nees: Bislang sehe ich keine. Wir fordern etwa mehr Transparenz beim Kindergeld. Der Jahressteuerbescheid sollte ausweisen, welcher Teil des Kindergeldes wirklich Förderung ist. Der gutgläubige Normalbürger geht nämlich davon aus, dass das Kindergeld von 154 Euro und ab dem vierten Kind 179 Euro jedem Bürger in gleicher Höhe als echte Förderung zugutekommt. Doch ein guter Teil davon ist einfach die Rückerstattung von Steuergeldern, die der Staat bei der Einkommenssteuer vorher zu viel eingezogen hat. Ein ehemaliger hoher Mitarbeiter des Bundesfamilienministeriums sprach denn auch von der Rückerstattung von Diebesgut, was gar nicht hätte erhoben werden dürfen. So erhält manche Familie schließlich unterm Strich lediglich eine Steuerrückerstattung.

KNA: Was erwarten Sie von der Politik außer der Erhöhung von Kindergeld und Steuerfreibetrag?
Nees: Eine gerechte Behandlung von Familien in den Sozialversicherungssystemen. Denn bislang müssen Familien die gleichen Sozialabgaben leisten wie Haushalte ohne Kinder, obwohl sie gleichzeitig mit der Erziehung von Kindern für die Zukunft vorsorgen. Was das Bundesverfassungsgericht dazu im Pflegeversicherungsurteil festgeschrieben hat, wurde nur minimal umgesetzt: Kinderlose müssen jetzt in der Pflegeversicherung 0,25 Prozentpunkte mehr Beitrag zahlen. Und bei der Rentenversicherung geschieht nichts, ebenso wenig bei der Arbeitslosenversicherung.

KNA: Immerhin gibt es da ja auch das Elterngeld.
Nees: Die Lohnersatzleistung macht das Interesse des Staates an Kindern deutlich, deshalb waren wir dafür. Ich bedauere aber, dass ein sehr großer Anteil gravierende Verschlechterungen gegenüber der vorherigen Regelung hinnehmen muss, vor allem bei jenen, die den Mindestbetrag erhalten. Sie bezogen vorher Leistungen über 24 Monate, jetzt nur noch über 12 oder 14 Monate. Das ist eine wirkliche Zumutung. Andererseits ist es aber wichtig, dass auch gut Verdienende spüren, auf ihre Kinder legt der Staat, die Gemeinschaft, der Steuerzahler wert.

KNA: Eine weitere Säule der Familienpolitik ist der Ausbau der Kleinkindbetreuung. Ist das Ziel realistisch, für jedes dritte Kind einen Krippenplatz bis 2012 zu erreichen?
Nees: Quantitativ ist das sicher zu erreichen. Ich wundere mich nur über das Ziel als solches: Warum wird nur ein Drittel berücksichtigt? Was ist mit den übrigen zwei Dritteln? Eltern wird eingeredet, nur wenn sie außerhäuslich arbeiten und das Kind in institutionelle Betreuung geben, wird es ordentlich erzogen und gebildet. Dass Eltern Tag für Tag mit ihren Kindern sprechen, spielen, singen und sie Schritt für Schritt ins Leben einführen, wird nicht gerechnet. Ich wehre mich dagegen, dass Politik schon vor dem dritten Lebensjahr pauschal das Modell erwerbstätiger Eltern bevorzugt. Das ist nicht im Sinne der Kinder. Und Eltern wissen am besten, was ein Kind benötigt.

KNA: Verfolgt die Familienpolitik mit solchen Maßnahmen vielleicht ein bestimmtes Familienmodell?
Nees: Das lässt sich so nicht sagen. Ich habe eher den Verdacht, dass die Interessen der Wirtschaft eine zu große Rolle spielen. Ihnen werden die Interessen des Kindes und damit auch der Eltern untergeordnet.