DOMRADIO.DE: Sie haben 1972 auf den Philippinen die private Hilfsorganisation PREDA ("Peoples Recovery, Empowerment and Development Assistance Foundation") gegründet, eine Zufluchtsstätte für Straßenkinder, denen Sie versuchen, ein neues Leben zu ermöglichen. In welcher Situation sind diese Kinder und Jugendlichen?
Father Shay Cullen (Gründer von PREDA): Viele der Kinder befreien wir aus den Händen von Menschenhändlern. Es ist gerade einmal zwei Wochen her, dass einer unserer Sozialarbeiter nach Angeles City [Anm. der Redaktion: nördlich von Manila, Hotspot für Sextouristen und Prostitution] gerufen wurde. Er fand dort zwei Schwestern, 11 und 14 Jahre alt, die Mutter war im Gefängnis, der Vater hatte die Familie verlassen. Wir haben interveniert, weil sie von einem Zuhälter festgehalten wurden, der sie an ausländische Sextouristen verkaufte. Das ist einer von vielen typischen Fällen, die uns begegnen. Derzeit leben 50 Mädchen in unserer Unterkunft, für die wir sorgen. Wir bieten ihnen Therapien an und versuchen, Ihnen einen Neuanfang zu ermöglichen. Sie können zur Schule gehen und wir helfen ihnen, die schweren Traumata zu verarbeiten.
DOMRADIO.DE: Wie geraten die Kinder überhaupt in solche Situationen?
Cullen: Viele Kinder, die wir aus den Händen von Kinderschändern und Zuhältern befreien, sind alleine, oftmals haben sie schon in der eigenen Familie Gewalt und Missbrauch erfahren. Das ist eine schreckliche Folge von den Geschäften mit dem internationalen Sextourismus. Die Regierung lässt das zu, es gibt wenig Strafverfolgung bei Kindesmissbrauch, im Gegenteil: Politiker geben Lizenzen für diese Sexbars aus, selbst wenn sie wissen, dass da auch Minderjährige angeboten werden oder Frauen, die für brutale Fesselspiele missbraucht werden. Die Menschen werden gehalten wie Sklaven und das wird toleriert.
Und von unserem Präsidenten Rodrigo Duterte können wir auch nicht viel erwarten, er hat selbst eine gewisse Vorliebe für so etwas: Er spricht oft über seine Mätressen und findet es vollkommen in Ordnung, dass Frauen benutzt werden. Dieses Denken und die Geringschätzung steckt in den Köpfen vieler Männer und daraus wird ein Teufelskreis: Erst „kaufen“ die Männer Minderjährige in den Sexbars und dann gehen sie nach Hause und vergehen sich an den eigenen Verwandten und denken, das sei in Ordnung.
DOMRADIO.DE: 1972 gründeten Sie in Olongapo City die private Hilfsorganisation PREDA – wie kam es zu diesem Engagement?
Cullen: Ich war bereits 1969 als Missionar auf die Philippinen geschickt worden und arbeitete in der St. Joseph’s Gemeinde in Olongapo City. Dort gab es viele Kinder und Jugendliche mit Problemen: Sie kamen aus zerrütteten Familien, sie waren alleine, ihre Väter waren US-Soldaten, die sich aus dem Staub gemacht hatten.
Das war ja der Anfang von allem: Olongapo City war bis Anfang der 1990er Jahre der größte US-Marinestützpunk in Asien. Im Zuge dessen hat sich dort eine riesiges Rotlichtviertel entwickelt, das auch nach dem Rückzug der Amerikaner bestehen blieb: Es entstand ein organisierter Sexhandel mit Kindern und jungen Frauen, den Einheimische und ausländische Männer bis heute ausgiebig nutzen. Die Begegnungen mit diesen Kindern haben mich aufgerüttelt und wir begannen, die Kinder zu retten, die auf der Straße lebten. Das war der Anfang von Preda. Zugleich begannen wir auch, gemeinsam mit Journalisten auf das Problem aufmerksam zu machen. Das hat zu großem Widerstand geführt, bis heute werden ich und meine Mitarbeiter bedroht man uns oder versucht uns, in Misskredit zu bringen.
DOMRADIO.DE: 1998 ermittelten dann die beiden Kölner Tatort-Kommissare Ballauf und Schenk erstmals im Ausland. In Manila waren sie einem Kinderhändler auf der Spur. Aus den Dreharbeiten vor Ort entstand der Verein „Tatort – Straßen der Welt“, der Preda bis heute unterstützt. Was bedeutete das für Sie?
Cullen: Es gab damals den realen Fall von zwei Mädchen, die von einem Deutschen missbraucht worden waren. Sie konnten fliehen, fanden bei Preda Unterschlupf und wir haben dann versucht, den Fall vor Gericht zu bringen. So unglaublich es klingt, aber der Mann wurde 1996 in Iserlohn schuldig gesprochen: Der erste deutsche Kinderschänder, der wegen eines im Ausland begangenen Verbrechens zuhause verurteilt wurde – und dadurch wurde unsere Arbeit in Deutschland bekannt.
Das Team vom Tatort wurde auf diese ungeheuerliche Geschichte aufmerksam und so kam die Idee für den „Tatort Manila“, das erste Mal überhaupt, dass Tatort-Kommissare außerhalb Deutschlands ermittelten. Wir haben das Team bei den Dreharbeiten beraten und daraus hat sich der Verein „Tatort – Straßen der Welt“ entwickelt, der uns bis heute unterstützt. Immer wieder besuchen und auch Mitglieder und wir sind den deutschen Helfern wirklich sehr dankbar.
DOMRADIO.DE: Sie sind aber auch in politischer Mission hier in Deutschland zu Besuch, Sie wollen bei Bundestagsabgeordneten für ein neues Gesetz werben. Worum geht es?
Cullen: Das Problem auf den Philippinen ist, dass viele der Sextouristen aus Europa, auch aus Deutschland, kommen. Und unter ihnen sind auch viele verurteilte Sexualstraftäter und Pädophile. Hier in Deutschland ist die Strafverfolgung wirklich gut, ich weiß von den Polizeibeamten, die im Darknet recherchieren, um Kinderpornoringe auszuheben und Menschenhändler aufzuspüren. Aber gerade weil die Strafverfolgung hier so engagiert ist, gehen diese Männer ins Ausland.
Deswegen führe ich gerade politische Gespräche mit Bundestagsabgeordneten, von denen viele unsere Arbeit seit Jahren unterstützen, wie zum Beispiel die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung Bärbel Kofler oder der Ausschuss für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Ich will mit ihnen über die Idee sprechen, ein Gesetz einzuführen, das es verurteilten Sexualstraftäter und Pädophilen verbietet, in Länder wie unsere zu reisen. In Irland haben wir das auch schon auf den Weg gebracht, ein solcher Vorschlag wird jetzt im Parlament diskutiert. Ein solches Gesetz wäre wirklich ein wichtiger Schritt für uns!
Das Interview führte Ina Rottscheidt.