Festival Knechtsteden bringt lutherische und katholische Kirchenmusik zusammen

Barockmusik als Brücke zwischen den Konfessionen

Während Theologen im Reformationsgedenkjahr über Wege zur Annäherung zwischen Katholiken und Protestanten nachdenken, zeigt sich bei der Kirchenmusik eine große Nähe zwischen den Konfessionen – und das seit Jahrhunderten.

Autor/in:
Mathias Peter
Vàclav Luks beim Festival Alte Musik Knechtsteden / © Mathias Peter (DR)
Vàclav Luks beim Festival Alte Musik Knechtsteden / © Mathias Peter ( DR )

Am Ende des Konzertes gibt es Standing Ovations. Der renommierte Dirigent Václav Luks hat mit seinem Ensemble Collegium 1704 die Musik von Bach und Zelenka so mitreißend wiedergegeben, dass es die Leute nicht mehr auf den Sitzen hält. Doch den Instrumentalisten und Sängern ist in der Klosterbasilika bei Dormagen nicht nur eine eindrucksvolle Performance gelungen – das Konzert beim diesjährigen Festival Alte Musik Knechtsteden zeigt auch die Nähe der Konfessionen im 18. Jahrhundert.

Asketischer Junggeselle trifft auf lebensfrohen Familienvater

Dabei könnten die Lebensläufe der beiden Zeitgenossen Bach und Zelenka, deren Messvertonungen beim Festival aufgeführt wurden, größer kaum sein. In Leipzig der überzeugte Lutheraner und Familienmensch Johann Sebastian Bach, der 20 Kinder zeugte und als Thomaskantor für die musikalische Gestaltung an den Leipziger Hauptkirchen zuständig war. Am katholischen Dresdner Hof hingegen wirkte mit Jan Dismas Zelenka ein asketischer Junggeselle und Jesuitenschüler, der so hinter sein musikalisches Werk zurücktrat, dass sich noch nicht einmal ein Portrait des Komponisten erhalten hat.

Zelenka emotional, Bach eher rational

Luks ist einer der führenden jüngeren Dirigenten aus dem Bereich der historischen Aufführungspraxis. Der tschechische Dirigent wählte für das Konzert mit der Messe in g-moll von Johann Sebastian Bach und der Missa Omnium sanctorum von Zelenka zwei Kirchen-Werke aus, die temperamentvoll, musikalisch sprühend und zugleich hoch spirituell sind – und doch sehr unterschiedlich klingen. „Die Musik von Zelenka ist sehr persönlich“, erklärt Luks nach dem Konzert. „Die Emotionalität ist so ansteckend und so tief empfunden, das ist ein Feuerwerk der Sinnlichkeit – auch wenn die Musik sehr komplex komponiert ist.“ Darin sieht der tschechische Dirigent auch den Hauptunterschied zu Johann Sebastian Bach: „Seine Musik ist natürlich auch emotional, aber die Rationalität steht eher im Vordergrund.“ Der Thomaskantor mochte die damals beliebte zeitgenössische Opernmusik nicht besonders, Zelenka orientierte sich stärker an dieser Musik aus Italien und komponierte in diesem Sinne moderner und gefälliger als Bach.

Gute Kirchenmusik überspringt alle Konfessionsgrenzen

Unterschiedliche Musikstile, völlig gegenläufige Biografien – und doch kannten und schätzten sich der evangelische Thomaskantor und der katholische Hofmusiker über alle Konfessionsgrenzen hinweg. Dabei schrieb Bach beispielsweise mit der Kantate „Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort“ sogar explizit antikatholische Musik. Das tat der gegenseitigen Hochachtung aber keinen Abbruch.  „Bach hat öfters Werke in Leipzig aufgeführt, die ursprünglich für die Katholische Kirche komponiert worden waren“, erklärt Luks. Von den Werken Zelenkas fertigte Bach sogar Abschriften an. Der Spezialist für historische Aufführungspraxis ist sich sicher: Bach und Zelenka waren große Künstler, die kein Problem damit hatten, große Kunst anzuerkennen, auch wenn sie persönlich einen anderen Stil oder Konfession bevorzugten: „Die eigentlich Kunst ist nicht konfessionsgebunden – das haben auch die Künstler damals gewusst“, davon ist Luks überzeugt.

Gottesdienstliche Musik fasziniert auch im Konzert

An Festlichkeit und sprühender Lebendigkeit nehmen sich die Messvertonungen von Bach und Zelenka bei allen stilistischen Unterschieden wenig. Beim Anhören fragt man sich angesichts der Klangschönheit: Was müssen das für Gottesdienste gewesen sein, in denen eine solche Musik aufgeführt wurde? Das Konzert in der Klosterbasilika ist kein Gottesdienst und doch fesseln die beiden liturgischen Kompositionen von Beginn an die Zuhörer. Für Václav Luks ist das die besondere Leistung der Musik der Barockzeit. Denn bei höchsten künstlerischen Ansprüchen bleibt die Musik zugänglich, sagt er – auch wenn die Worte auf Latein und die Glaubensinhalte heute nicht mehr allen Zuhörern vertraut sind.

Höchste Qualitätsansprüche an die Musik dürfte eine weitere Parallele zwischen Bach und Zelenka sein. Und sie hatten sich anscheinend viel zu sagen. Johann Sebastian Bach lud Zelenka zu sich nach Hause ein, das ist historisch gesichert. Was er sie wohl fragen würde, wenn er die Gelegenheit hätte, bei so einem Treffen dabei zu sein: „Ach“, sagt Václav Luks und lacht: „Ich würde gar nichts fragen, ich würde lieber zuhören, worüber die beiden sich unterhalten – das ist viel interessanter als meine Fragen“. Dann muss er los – das nächste Konzert wartet. Aufführungsort ist Köthen. Und wer war da mal Hofkapellmeister gewesen?  Na klar, Johann Sebastian Bach.


Quelle:
DR