Einen schwachen Magen durfte man nicht in die Kinos am Lido mitbringen: Von herausgerissenen Innereien bis zu abgesägten Gliedmaßen konfrontierten das 73. Filmfestival von Venedig die Zuschauer brutal mit dem, was Menschen anderen Menschen antun können. Und auch wenn es in Filmen wie dem grimmigen Neo-Western "Brimstone", der Kannibalen-Mär "The Bad Batch" oder Mel Gibsons Kriegsdrama "Hacksaw Ridge" nicht um aktuelle politische Konflikte geht, passen ihre verstörenden Gewaltvisionen doch wie die Faust aufs Auge in dieses "Jahr der Angst" mit seiner Brutalisierung und Radikalisierung politischer Konflikte.
Frau mit siebenbeinigen Besuchern
Allerdings spiegelte sich in der Filmschau in Venedig nicht nur das Klima der Gewalt, sondern auch die nicht tot zu kriegende Hoffnung, dass es andere Wege geben muss, Konflikte zu überwinden. Gleich mehrere Beiträge erzählten von der Hoffnung auf friedliche Alternativen. Im Gewand eines Science-Fiction-Films tat das etwa der Kanadier Denis Villeneuve mit "Arrival". Erzählt wird von der Landung von Ufos auf der Erde und den Versuchen einer Sprachwissenschaftlerin (Amy Adams), mit den Aliens in Kontakt zu treten, bevor statt Worten die Waffen der Militärs sprechen.
Der Film verwendet viel Zeit und Fantasie darauf auszumalen, wie die Frau mit den siebenbeinigen Besuchern in einen Austausch tritt und ihre Kommunikationsweise decodiert: ein Hohelied auf die Sprache als zentrale menschliche Fähigkeit und ein Plädoyer dafür, sie öfters zu benutzen, um Missverständnisse und Vorurteile aus dem Weg zu räumen.
Der Gewalt mit Gewalt beikommen
Dieser Mission schließt sich auch Nick Hamms britischer Film "The Journey" an: Er schildert eine gemeinsame Reise zweier Politiker, die 2007 eine maßgebliche Rolle bei der friedlichen Beilegung des Nordirland-Konflikts spielten: Auf den Schultern der konfessionellen Erzfeinde Ian Paisley und Martin McGuinness liegt die Verantwortung, nach Jahrzehnten der Gewalt ein Friedensabkommen zustandezubringen.
Angesichts der Sturköpfigkeit der beiden eine Quadratur des Kreises - bis eine gemeinsame Autofahrt eine neue Basis schafft. Ein meisterlicher Dialogfilm, dessen Hauptdarsteller Timothy Spall und Colm Meany preiswürdig sind. Allerdings lief der Film am Lido außer Konkurrenz.
Der Gewalt mit Gewalt beikommen will dagegen "Hacksaw Ridge" von Mel Gibson. Der Regisseur der "Passion Christi" erzählt die wahre Geschichte des Desmond Doss, der sich im Zweiten Weltkrieg freiwillig zur US-Army meldete, sich aber aus religiöser Überzeugung weigerte, eine Waffe auch nur anzufassen. Die Geschichte eines Mannes, der auch unter extremen Bedingungen an seinem Glauben und seinem Ethos festhält, ist Gibson in der ersten Hälfte durchaus gut gelungen. In der zweiten Hälfte, die infernalische Schlachten-Szenarien ausmalt, höhlt er aber sein Pazifismus-Thema aus und verfällt in die alte "Wir gegen die anderen"-Dramaturgie, bei der man sich als Zuschauer über den Tod möglichst vieler Kriegsgegner freuen darf.
"Frantz" ein Anwärter auf den "Goldenen Löwen"
Aufrichtiger in ihrem Friedensanliegen ist die deutsch-französische Koproduktion "Frantz" von Francois Ozon, ein aussichtsreicher Anwärter auf den "Goldenen Löwen" oder einen Preis für die deutsche Hauptdarstellerin Paula Beer. Erzählt wird ein Melodram aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Die Titelfigur Frantz ist aus dem Krieg nicht zurückkehrt; seine Braut Anna lebt bei den trauernden Eltern. Als eines Tages ein junger Franzose am Grab von Frantz auftaucht und offensichtlich auch um den Toten trauert, sorgt das allgemein für Irritation - wird aber auch zur Chance, den alten Hass zu überwinden.
Ozon macht daraus ein hoch emotionales, hintersinniges Melodram, welche Abgründe von Schuld ein Krieg aufreißt und wie schwer es ist, Brücken darüber zu bauen. Hilfsmittel sind im Film nicht nur die Sprachkompetenz (die Hauptfiguren sind zweisprachig und unterhalten sich mal auf Deutsch, mal auf Französisch), sondern auch die Kunst: Gedichte, Musik und das Geschichtenerzählen im Allgemeinen spielen in Ozons Film eine wichtige Rolle dabei, den Menschen beim Weiterleben nach Leid und Trauer zu helfen und Verbundenheit herzustellen. Eine Kunstauffassung, die auch einem Filmfestival nicht schlecht ansteht.