Keine Angst vor "Spotlight": Mit dieser Linie erwarteten seinerzeit die US-Kirchenführer den Kinofilm von Regisseur Tom McCarthy. Das Doku-Drama zeichnet die durch die Zeitung "Boston Globe" im Jahr 2002 erfolgte Enthüllung eines Missbrauchsskandals im Erzbistum Boston nach. Der Film ist am Sonntagabend ab 20.15 Uhr auf Pro7 und damit erstmals im deutschen Free-TV zu sehen.
Kardinal Sean O´Malley: Film ist Beitrag zur Aufarbeitung
Der Bostoner Kardinal Sean O'Malley gehörte zu denen, die "Spotlight" nicht als "anti-katholisch", sondern als Beitrag zur Aufarbeitung verstanden wissen wollten. Die Kirche müsse anhaltend die Vergebung der Opfer suchen und Vorkehrungen treffen.
Ausgerechnet O'Malley steht als Vorsitzender der päpstlichen Kinderschutzkommission in diesen Tagen im Fokus. Er soll im Fall der Missbrauchsvorwürfe gegen den früheren Erzbischof von Washington, Kardinal Theodore McCarrick(88), nicht entschieden genug vorgegangen sein. Der Eindruck drängt sich auf, dass die US-Kirche dieses düstere Kapitel in ihrer Geschichte noch längst nicht hinter sich gelassen hat.
Film rückt auch innere Konflikte ins Licht
Fast schon prophetisch mahnte der Erzbischof von Dubuque, Michael Owen Jackels, zum Kinostart von "Spotlight" in den USA: "Die Geschichte, die der Film erzählt, wird sich so lange wiederholen, bis wir alle daraus gelernt haben."
In einer Schlüsselszene von "Spotlight" treffen der damalige Erzbischof von Boston, der heute 84 Jahre alte Kardinal Bernard Law, und der frisch aus Miami eingetroffene neue Chefredakteur des Traditionsblatts "Boston Globe", Martin Baron, zusammen. "Die Stadt blüht, wenn großartige Institutionen zusammenarbeiten", sagt der Kardinal zu seinem Gast. Baron widerspricht höflich. Der "Globe" müsse unabhängig sein.
Der "Neue" kommt nicht nur aus einer anderen Stadt, sondern bringt als Jude auch einen anderen Blick auf das katholisch geprägte Boston mit. Barons Außenseiterstatus hilft ihm, den Missbrauchsvorwürfen auf den Grund zu gehen. Der Chefredakteur beauftragt den gestandenen Nachrichtenmann Walter Robinson mit der Leitung eines investigativen Teams, das die Spuren verfolgt und die düsteren Vorgänge ans Tageslicht bringt.
Zugang für breites Publikum
"Spotlight" konzentriert sich auf einige wenige Missbrauchsfälle - die dadurch an Schärfe gewinnen. Seinen Reiz hat der Film auch aus den inneren Konflikten, die Mitglieder des Teams durchleben, die selbst katholisch sind. Die unbesungene Heldin im Hintergrund des Films starb Ende Juni in Massachusetts. Die Journalistin Kathy Shaw lieferte die Vorarbeit, an die die Recherchen des "Boston Globe" anknüpften. Ihr "Abuse Tracker" ist heute weltweit eine Quelle für Menschen, die verfolgen, wie sich der Skandal und dessen Aufarbeitung weiter entwickelt hat.
Shaw schrieb jahrelang für die "Worcester Telegram & Gazette" über Kirchenthemen, bevor sie sich ganz dieser Aufgabe widmete. Dank der mehreren zehntausend Postings von Shaw "können die Menschen die Missbrauchskrise heute überall verfolgen", sagt Terence McKiernan von "BishopAccountability.org". Die Website beheimatet heute den "Abuse Tracker". "Spotlight", so McKiernan, habe seinen Teil dazu beigetragen, das Thema einem breiten Publikum nahe zu bringen. "Wer waren diese Männer, die diese Dinge getan haben; wie viele sind es, wie heißen sie?"
Zum Kinostart ermutigte die US-Bischofskonferenz die Bistümer in einem Leitfaden, ihre Fehler einzugestehen und die Rolle von Opfern und Journalisten zu würdigen, die halfen, Täter und Taten zu benennen. Der Film biete die Chance, bereits erreichte Fortschritte hervorzuheben.
Rücktritt von Kardinal McCarrick
Oder an anhaltende Defizite zu erinnern. So bleibt die Aussage von Rechtsanwalt Mitchell Garabedian gegenüber dem Reporter Mike Rezendes in einer Schlüsselszene von "Spotlight" bedrückend aktuell: "Es braucht ein Dorf, um ein Kind zu erziehen; und es braucht ein Dorf, um eines zu missbrauchen."
Im aktuellen Fall um den früheren Erzbischof von Washington sieht O'Malley bei der Verfolgung von Missbrauchsvorwürfen gegen Bischöfe und Kardinäle Nachbesserungsbedarf. Unterdessen reichte McCarrick am Freitagabend beim Papst seinen Rücktritt aus dem Kardinalskollegium ein. Franziskus nahm an.