Von allen gemocht zu werden, darum ist es George Pell noch nie gegangen. Er eckte an, wo er wollte und konnte. Es war die Art von einem, der auch eine Karriere als Australian-Football-Spieler in Erwägung gezogen hatte. Doch der Zwei-Meter-Mann entschied sich für den Priesterberuf - der ihn bis in die höchsten Ränge des Vatikan führte.
Mit der am Dienstag bekanntgewordenen Verurteilung wegen Missbrauchs eines 13-Jährigen in der Kathedrale von Melbourne und sexueller Belästigung eines weiteren Jungen könnte dieser steile Aufstieg in einem australischen Gefängnis enden. Allerdings beteuert Pell weiter, er sei unschuldig. Und seine Verteidiger wollen in Berufung gehen.
Bischöflicher Wappenspruch: "Nolite Timere" (Fürchtet euch nicht)
Geboren im Juni 1941 in einfachen Verhältnissen in Ballarat im Bundesstaat Victoria, wurde George Pell mit 25 Jahren zum Priester geweiht. Sein Weiterstudium in Rom und Oxford führte ihn zur Promotion in Kirchengeschichte.
1985 wurde der schon von seiner Statur auffällige Pell zum Rektor des Priesterkollegs Corpus Christi berufen - klassischerweise ein Job für Geistliche, die zu Höherem berufen sind. Schon zwei Jahre später kam die Ernennung zum Weihbischof in Melbourne. Sein bischöflicher Wappenspruch: "Nolite Timere" (Fürchtet euch nicht). 1996 machte ihn Papst Johannes Paul II. zum Erzbischof von Melbourne.
Doch für Pell war die elegante und fleißige Wirtschaftsmetropole Australiens nur eine Zwischenstation. Im März 2001 wurde er nochmals befördert: nach Sydney, in die Hauptstadt des australischen Libertinismus. Von hier meldete er sich regelmäßig mit kontroversen Statements über Themen wie Bioethik und Umwelt zu Wort und provozierte mit seinen Positionen oft Widerspruch.
So präsentierte sich Pell stets als Zweifler an einem menschengemachten Klimawandel. Umweltschützern warf er vor, anderen ihre "moralisierenden Ziele durch eine Angstkampagne aufzwingen" zu wollen. Offenbar müssten Heiden immer vor irgendetwas Angst haben und vermeintlich launische oder grausame Götter durch Opfer besänftigen - früher mit Schlachttieren, heute eben mit einer Reduzierung der CO2-Emission.
Pells Doppelleben
Auch zu Homosexualität und Missbrauch vertrat er dezidierte Positionen - und führte offenbar doch längst ein Doppelleben, ähnlich wie der zuletzt tief gefallene frühere Washingtoner Erzbischof Theodore McCarrick. Der 88-Jährige, bei seinen sexuellen Aktivitäten als "Uncle Teddy" berüchtigt, wurde kürzlich erst aus dem Kardinalsstand entlassen und dann auch aus dem Klerikerstand. Diese kirchenrechtliche Höchststrafe könnte nun auch auf Pell warten, der pikanterweise einst mit seiner bistumseigenen Anti-Missbrauchs-Strategie vorgeprescht war und damit seine australischen Amtsbrüder brüskiert hatte.
Immer wieder wurde Pell, der sich in Sydney als einer der führenden konservativen Köpfe im Weltepiskopat profilierte, für höhere Ämter ins Spiel gebracht. Als Mitglied der römischen Glaubenskongregation (1990-2000) gehörte er zu den engsten Beratern des damaligen Präfekten Joseph Ratzinger. Unter den Kandidaten für dessen Nachfolge im Amt des Präfekten wurde 2005 auch sein Name genannt. Beim Weltjugendtag 2008 in Sydney machte er dann als Gastgeber das Hafenbecken mit Harbour Bridge und Opernhaus zu einer spektakulären Kulisse für eine junge Kirche.
Pells große Stunde schlug 2014, als Papst Franziskus einen effizienten Aufräumer für die Vatikanfinanzen suchte. Schon 2013 hatte er ihn als Vertreter Ozeaniens in den Kardinalsrat zur Kurienreform berufen. Auch als Leiter des neu gegründeten vatikanischen Wirtschaftssekretariates fürchtete sich Pell nicht und machte sich mit klarer Kante mehr Feinde als Freunde.
Von der Vergangenheit eingeholt
Bis ihn seine Vergangenheit einholte: Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs Jugendlicher und der sexuellen Belästigung Erwachsener in den 1990er Jahren. In Australien wurde Anklage erhoben, später ein Prozess anberaumt. Im Juni 2017 stellte Papst Franziskus Pell für die Prozessdauer als Finanzchef frei; eine Suspendierung war das aber noch nicht. Ein letztes Mal präsentierte sich der Zwei-Meter-Mann, wie man ihn kannte: betont lässig in einem australischen Straßencafe sitzend - während er schon das Land nicht mehr verlassen durfte. Die Öffentlichkeit war empört.
Für Pell ist der am Dienstag bekannt gewordene Schuldspruch eine krachende, auch persönliche Niederlage. Und wohl das Ende eines Riesen - aber kein Ende der Häme und des Abscheus. Für die Kirche ist es eine neue Schockwelle in der nicht enden wollenden Krise.