Die nordrhein-westfälische Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) hat bei einer Podiumsdiskussion der Evangelischen Kirche im Rheinland auf der "didacta" zu mehr Begegnungen mit Flüchtlingskindern und ihren Eltern ermutigt. "Nichts entzieht dem Vorurteil und dem möglicherweise daraus resultierenden Hass stärker die Grundlage als die persönliche Begegnung", sagte Löhrmann in Köln.
Erzbischof Becker verknüpft Integration mit religiösen Bedürfnissen
Der Paderborner Erzbischof Hans-Josef Becker würdigte die Betreuung von Flüchtlingskindern in Schulen. Zugleich erklärte Becker, zur Integration der Flüchtlinge und ihrer Kinder gehöre auch die angemessene Berücksichtigung ihrer religiösen Bedürfnisse. Die prägten "mitunter stärker, als der Mathematik-Unterricht in der Kindheit", sagte Becker. Die Flüchtlingskinder, die schnell die deutsche Sprache erlernten, könnten auch eine Brücke zu erwachsenen Flüchtlingen ermöglichen, ergänzte Becker. Der katholische Theologe mahnte außerdem, die Gruppe junger männlicher Flüchtlinge stärker in den Blick zu nehmen, die hierzulande durch die Schulraster falle, weil sie zu alt für die Schule sei.
Der frühere bayrische Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU) wies darauf hin, dass Deutschland vor 18 Jahren eine ähnlich große Flüchtlingswelle überstanden habe. Damals seien russische Spätaussiedler, russische Juden und die Flüchtlinge aus den Bürgerkriegsgebieten des ehemaligen Jugoslawien nach Deutschland gekommen.
Schulen reagieren auf steigenden Integrationsbedarf
Die Schulen passen sich der wachsenden Herausforderung bereits an. Allein Nordrhein-Westfalen hat laut Aussagen der Landesvorsitzenden der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Dorothea Schäfer, im vergangenen Jahr rund 40.000 schulpflichtige Flüchtlinge aufgenommen. Viele Schulen hätten für die Neuankömmlinge eigene Klassen eingerichtet; 5.600 neue Lehrer seien eingestellt worden, davon 1.200 für die Sprachförderung. Der bayerische Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) gab bekannt, dass Bayern 1.079 Lehrerplanstellen besetzen und mehrere hundert Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen wolle. In anderen Bundesländern dürfte die Situation ähnlich aussehen.
Großer Bedarf an Unterrichtsmaterialien
An den Ständen der Schulbuchverlage sind die Bereiche "Deutsch als Fremdsprache" (DaF) und "Deutsch als Zweitsprache" (DaZ) prominent vertreten. Es gebe einen "riesengroßen Bedarf" an Unterrichtsmaterialien, sagt Heike Grzella-Führt, die den Stand des Cornelsen Verlags auf der didacta betreut. Die Nachfrage habe sich in den vergangenen Monaten verdreifacht. Man habe sowohl vorhandenes Material der aktuellen Situation angepasst als auch neue Werke aufgelegt.
Der Ernst Klett Verlag hat seit rund fünf Jahren Material zu DaZ und DaF im Portfolio, erklärt Saskia Böhler von der Marketing-Abteilung. Auch sie spricht von steigenden Absatzzahlen. In Planung ist derzeit beispielsweise ein Buch, das sich speziell der Situation von 11- bis 16-jährigen Flüchtlingskindern widmet.
Erzbistum Köln auf Messe vertreten
Die Themen Migration, Religion in einer säkularen Gesellschaft, Umwelt und Flucht werden auch im Religionsunterricht immer wichtiger, wie Christoph Westemeyer erläutert. Er ist als Abteilungsleiter im Generalvikariat des Erzbistums Köln für schulische Religionspädagogik und katholische Bekenntnisschulen zuständig und steht am Messestand der katholischen und evangelischen Kirche den Besuchern Rede und Antwort.
Schwieriges Thema konfessioneller Religionsunterricht
Ein heikles Thema sei die Teilnahme von Flüchtlingskindern am konfessionellen Religionsunterricht, weiß Westemeyer. Dazu wolle man niemanden zwingen. Vielmehr müsse die konkrete Schülerin oder der konkrete Schüler und deren Bedürfnisse und Religionszugehörigkeit im Mittelpunkt stehen. "Was ist für sie das Richtige?", laute die zentrale Frage.
Westemeyers Paderborner Kollegin Brigitte Zein-Schumacher betont, dass gerade im Religionsunterricht "Fluchtgeschichten" schon immer zur Sprache kämen. Schon die Eltern Jesu mussten schließlich ihre Heimat verlassen. Die Bistümer böten Lehrerfortbildungen an, die sich der konkreten Unterrichtsgestaltung widmeten. Zudem könne jeder Religionslehrer Materialien in der Medienstelle eines Bistums erwerben. Aktuell gebe es beispielsweise fünfminütige Comic-Filme, die den Schülern die Themen Flucht und Migration näher brächten.
"Bildungspaket" der evangelischen Diakonie Katastrophenhilfe
Die evangelische Diakonie Katastrophenhilfe widmet sich den Themen mit einem "Bildungspaket", das seit acht Wochen zur Verfügung steht. Es enthält die Erstausstattung, die ein Flüchtling im Aufnahmelager erhält: Kochtöpfe, Besteck, eine Zahnbürste, Zahnpasta, Taschentücher und Seife. Zudem gibt es Kochrezepte mit Zutaten, die Flüchtlingen im Lager zustünden, sowie Informationen über die Ursache von Flucht. Lang ist sicher: "Nur wenn man sich in die Rolle derjenigen, die der Situation ausgesetzt sind, reinversetzen kann - dann wird es einem richtig bewusst", sagt Rainer Lang, der in Krisengebieten wie Syrien und Irak geholfen hat.
GEW-Vertreterin Schäfer findet all diese Ansätze sinnvoll. Was Medienangebote anbelangt, hätten viele Schulen jedoch oft gar nicht die technischen Mittel, um diese zu nutzen. Zudem gebe es "einen ganz großen Bedarf an Fortbildungen" über den Einsatz von Medien. Es scheint, dass beim Umgang mit den Flüchtlingen noch Luft nach oben ist im deutschen Bildungswesen. Auch wenn die didacta am Samstag ihre Pforten schließt.