"S17662" steht in schwarzer Schrift auf den weißen Planken des Holzbootes. Es hat bereits eine lange Reise hinter sich. Von Schleusern auf der Route von Libyen nach Italien eingesetzt, wurde es von der Armee Maltas beschlagnahmt. An Fronleichnam diente es auf dem Kölner Roncalliplatz als Altar - und dann mehrere Monate im Dom als Mahnmal für die Not der Flüchtlinge. Nun hat das Gefährt eine neue Bestimmung: In der Kölner Kirche Sankt Maria in Lyskirchen ist es Schauplatz der dortigen Milieukrippe.
Jahr für Jahr baut Benjamin Marx ab dem ersten Advent in der romanischen Kirche die Krippe auf. Sonst dienen ihm dabei Straßenszenen aus den Dreißigern als Kulisse. Doch diesmal verzichtet er darauf. Zugunsten des Flüchtlingsbootes. Als für dieses ein neuer Platz gesucht wurde, bot sich die kleine Kirche in unmittelbarer Nähe zu Rhein und Schokoladenmuseum an. "Die Kirche ist auch als Schifferkirche bekannt", erklärt Marx. Dazu passe gut, dass das Flüchtlingsboot nun die Krippe der Kirche trägt.
Flüchtlingsboot als Basis für Milieukrippe
Eigentlich sollte das Schiff auch hier als Altar dienen. Aber das Gotteshaus ist dafür zu klein. Dann ist Marx die Idee gekommen, es als Basis für seine Milieukrippe zu nutzen. Im Ohr hat er noch die Worte von Kardinal Rainer Maria Woelki beim Fronleichnamsgottesdienst: "Wer Menschen im Mittelmeer ertrinken lässt, lässt Gott ertrinken", sagte der Kölner Erzbischof in seiner Predigt. Christus selber habe mitten unter den Flüchtenden in dem Boot gesessen. "Wenn Christus mit im Boot sitzt", so Marx, "dann kann er auch in dem Boot geboren werden."
Seit 20 Jahren entsteht zwischen dem ersten Advent und dem 2. Februar in Maria Lyskirchen die Milieukrippe. Immer wieder anders, aber stets mit aktuellen Bezügen. Biblische Gestalten und Persönlichkeiten aus dem Viertel rund um die Kirche treffen dabei aufeinander. So hat dort neben Maria, Josef und dem Jesuskind auch ein Junkie Platz, der die Drogensüchtigen in der Stadt symbolisiert. So selbstverständlich wie die Heiligen Drei Könige gehören auch ein Matrose ins Bild, der für das Hafenviertel steht, oder der 1996 verstorbene ehemalige Pfarrer von Lyskirchen, Gottfried Kirsch. Von ihm stammt die Idee zur Milieukrippe, die Marx weiterentwickelt hat.
"Angefangen haben wir mit zwölf Figuren, mittlerweile sind es 37", berichtet der Krippenbauer. Sie stehen aber nie alle gleichzeitig in der Krippe. Marx stellt sie immer wieder neu zusammen. "Die Krippe ist eine erzählende Krippe, sie ist ständig im Wandel." Leitend ist die Weihnachtsgeschichte. Am ersten Advent stand die Verkündigung der Geburt Jesu an Maria durch den Engel Gabriel im Fokus, ab dem Dreikönigstag ergänzen Sternsinger die Szene.
Alle in einem Boot
Dabei stellt der Krippenbauer immer wieder aktuelle Bezüge her - in diesem Jahr das Thema Flucht. So sitzt auf einer Planke, die auf das Boot führt, der aus Eritrea stammende David, die jüngste Puppe der Sammlung. Um ihn herum finden sich der Junkie mit dem Stern in der Hand, das Romamädchen Crina und ein Tagelöhner.
"Wir sitzen alle in einem Boot, aber doch in zwei Welten", erläutert Marx. Das zeigt auch seine Figurenanordnung. Zwei Glasplatten unterteilen das Boot. Auf der im Rumpf stehen leicht erhöht Figuren, die nach den Worten von Marx "unsere Welt widerspiegeln": Ein Polizist, ein Steuereintreiber oder ein Tanzpaar erscheinen in einem kalten, blauen Licht. Im hinteren Bootsteil, in warmes Licht getaucht, findet sich die Welt der Ausgegrenzten: David, der Junkie und das Romamädchen. Ihnen zugewandt steht der Prophet Jesaja.
Zwischen beiden Welten hat Marx bewusst einen Graben entstehen lassen - Zeichen für die sozialen Diskrepanzen. Der Polizist schaut kritisch auf die andere Seite zu David hinüber. "Und der Steuereintreiber bearbeitet dieses Jahr auch Asylanträge", sagt der Krippenbauer. Die Kluft zwischen hier und dort soll sich erst an Weihnachten schließen.
Dann will Marx in der Mitte die Geburtsszene aufbauen - Zeichen dafür, dass es Jesus um Solidarität und Miteinander über alle Grenzen hinweg geht.