Flüchtlingsdrama gewinnt Goldene Palme in Cannes

Isoliert vom Rest der Gesellschaft

Das Sozialdrama "Dheepan" hat überraschend die Goldene Palme gewonnen. Darin geht es um einen Flüchtling aus Sri Lanka, der in Paris isoliert vom Rest der Gesellschaft lebt. Der Ökumenische Filmpreis geht an "Mia Madre".

"Dheepan" gewinnt (dpa)
"Dheepan" gewinnt / ( dpa )

Der französische Regisseur Jacques Audiard hat mit seinem Migrationsdrama "Dheepan" die Goldene Palme beim Filmfestival in Cannes gewonnen. Audiard (63) erzählt darin von einem Flüchtling aus Sri Lanka, der in einem sozialschwachen Pariser Vorort landet. Dort leben die Menschen isoliert vom Rest der Gesellschaft. Der Große Preis der Jury ging an den Ungarn László Nemes für sein Auschwitz-Drama "Son of Saul".

Für Frankreich gab es am Sonntagabend noch zwei weitere Auszeichnungen: Vincent Lindon und Emmanuelle Bercot wurden als beste Schauspieler geehrt. Bercot teilt sich den Preis mit der US-Amerikanerin Rooney Mara.

Audiards Hauptfigur Dheepan flieht mit einer Frau und einem Mädchen, die er als Ehefrau und Tochter ausgibt. Zwischen den Erwachsenen entwickelt sich in der neuen Heimat eine zarte Liebe. Doch ihr Leben wird vom Bandenkrieg in den Hochhausschluchten erschüttert. Der 63-jährige Audiard hatte 2009 in Cannes bereits den Großen Preis der Jury für sein Gefängnisdrama "Ein Prophet" gewonnen.

"Son of Saul" - Rabbi in Auschwitz gesucht

László Nemes hingegen schaut mit seinem Debütfilm "Son of Saul" in die Vergangenheit. Sein Protagonist Saul will im Nazi-Vernichtungslager Auschwitz seinen Sohn würdevoll beerdigen lassen. Er sucht einen Rabbi - und die Zuschauer bekommen so einen bedrückenden Einblick über das Lagerleben. Dafür findet der junge Regisseur Nemes (Jahrgang 1977) drastische Bilder, für die er den zweitwichtigsten Preis des Festivals gewann.

Die Jury unter dem Vorsitz der US-Regisseure Ethan und Joel Coen ("Inside Llewyn Davis") ehrte außerdem zwei französische Darsteller: Vincent Lindon als Langzeitarbeitsloser in "La loi du marché" und Emmanuelle Bercot, die in "Mon roi" eine emotionale Ehehölle durchleidet. Als beste Schauspielerin wurde neben Bercot zu gleichen Teilen auch Rooney Mara ausgezeichnet: Sie spielt in "Carol" nach einem Roman von Patricia Highsmith die Geliebte von Cate Blanchett und reift zu einer selbstbewussten jungen Frau heran.

Den Preis der Jury erhielt der griechische Regisseur Yorgos Lanthimos, der mit "The Lobster" eine düster-bizarre Zukunftsvision um Zwangsverpaarungen von Singles vorlegte. Für das kunstvoll inszenierte Kampfkunstdrama "The Assassin" gewann der Taiwanese Hou Hsiao-hsien den Preis für die beste Regie. Für das beste Drehbuch wurden der Mexikaner Michel Franco und sein "Chronic" um einen Pfleger schwerstkranker Menschen geehrt. Im Wettbewerb des Festivals hatten in diesem Jahr 19 Filme um die Preise konkurriert.

Ökumenischer Filmpreis für "Mia Madre"

Der Preis der Ökumenischen Jury ging in diesem Jahr an den italienischen Regisseur Nanni Moretti. Er ist für kirchliche Filmpreis-Juroren seit bald mehr als drei Jahrzehnten ein verlässlicher Bezugspunkt. Morettis offene, gleichermaßen von leiser Melancholie wie stillem Humor geprägte Filme erzählen von menschlichen Nöten, Ängsten und Hoffnungen, ohne das Publikum zu überwältigen oder zu vereinnahmen. Ihr nachdenklicher Ton und das eher ruhige, unaufgeregte Erzähltempo lassen Raum, sich über die Bilder, Figuren und Erzählungen eigene Gedanken zu machen, ohne überwältigt oder durch ein hermetisches Happy End am persönlichen Weiterdenken gehindert zu werden.

So endet auch Morettis aktueller Film "Mia Madre", der am Wochenende beim 68. Filmfestival in Cannes mit dem Preis der Ökumenischen Jury ausgezeichnet wurde, nicht mit dem Schmerz über den Verlust eines geliebten Menschen; vielmehr halten Erzählungen und Anekdoten die Erinnerung an die soeben verstorbenen Mutter, an ihre Lebensweisheit und Güte, wach.

Die Ökumenische Jury lobte in ihrer Preisbegründung vor allem den Humor eines Films, der über allen Nöten und auch angesichts des nahenden Todes nicht in Schwermut erstarrt, sondern immer wieder kleine Schritte unternimmt, um Ärger, Wut, Trauer und Verzweiflung hinter sich zu lassen. Bei der Entscheidung der Jury spielte auch das offene Nachdenken des Films über das eigene Metier eine Rolle sowie über Fragen nach der Begrenztheit menschlicher Wahrnehmungen, die auch den Umgang mit Sterben und Tod beeinflussen.

Mit zwei "Lobenden Erwähnungen" für den französischen Film "La Loi de Marche" von Stephane Brize sowie "Taklub" des philippinischen Regisseurs Brillante Mendoza unterstrich die Jury überdies die politisch-humanistische Dimension des Cannes-Festivals, die in der Berichterstattung allzu leicht an den Rand gedrängt wird.

 


Quelle:
KNA , dpa