Folgen der Krise in Venezuela

Flucht vor Hyperinflation, Hunger und Hoffnungslosigkeit

Klopapier, Shampoo, Milch - in Venezuela sind das längt Luxusgüter. Die Inflation rast, die Menschen hungern, immer häufiger kommt es zu Plünderungen. Wer kann, verlässt das Land - auch unter schwierigsten Bedingungen.

Autor/in:
Camilla Landbö
Krise in Venezuela / © Manaure Quintero (dpa)
Krise in Venezuela / © Manaure Quintero ( dpa )

Aus Venezuela ist ein Exodus im Gange. Die Bewohner verlassen massenweise ihr Land. Zu Fuß, per Taxi, in Bussen, nur noch selten per Flugzeug, da die Tickets kaum noch bezahlbar sind. Sie sagen, sie würden lediglich für ein paar Tage oder Wochen in den Urlaub fahren. Im Ausland angekommen, bleiben sie. Etwa in Kolumbien, Argentinien, Chile, Peru oder Bolivien. Und suchen Arbeit. So auch Carolina Rivas.

Stark steigende Preise

"Es gab nichts mehr: kein Brot, Öl, Shampoo, Klopapier, keine Milch für die Kinder", sagt die 29-Jährige aus Maracaibo, der zweitgrößten Stadt Venezuelas. Nun sitzt sie an einem Küchentisch in der bolivianischen Andenstadt La Paz. Hier hat sie ein günstiges Zimmer gefunden. "Ich habe in Venezuela fünf Tage die Woche als Ingenieurin im staatlichen Petrochemie-Unternehmen Pequiven gearbeitet", erzählt sie, "aber das Gehalt reichte nicht für das Essen für meinen Sohn und mich." Geschweige denn für die Miete und die öffentlichen Verkehrsmittel. Die Preise stiegen täglich.

Als Rivas Venezuela im vergangenen August verließ, waren die meisten ihrer Freunde und Arbeitskollegen bereits gegangen. "Ich wollte mein Land nie verlassen, aber es ging einfach nicht mehr." In Maracaibo waren die Supermärkte leer. "Wie erklärst du einem Kind, dass es heute nichts zu Essen gibt?" Also kaufte Rivas für teures Geld auf dem Schwarzmarkt ein oder stand lange vor einem Supermarkt an, wenn es an diesem Tag hieß: ein paar Lebensmittel werden geliefert.

Flucht nach Kolumbien

Als bei ihrer Arbeit eine Gehaltserhöhung vom Tisch gewischt wurde, entschied sie sich zu gehen. "Nach Bolivien, zu Freunden." Sie lief mit nur einem Koffer über die Grenze nach Kolumbien. "Erst hatte ich Angst, dass ich nicht rausgelassen werde, und als ich von Bogota nach La Paz flog, dass man mich in Bolivien nicht rein lässt." Für die Flucht verkaufte sie ihr gesamtes Hab und Gut. Alles. "Hätte man mich irgendwo nicht durchgelassen, wäre es ein Desaster gewesen: kein Geld mehr und in Venezuela keine Arbeit mehr."

Rund zwei Millionen Venezolaner verließen in den vergangenen zwei Jahren ihre Heimat. Meist finden sie in anderen südamerikanischen Ländern zunächst keine Arbeit in ihrem Beruf, da ihre Abschlüsse nicht anerkannt werden. So trifft man derzeit etwa in Buenos Aires oder Santiago de Chile in Restaurants, Cafes und anderen Läden auffallend oft auf Venezolaner, die dort bedienen.

Ich hatte das Glück, dass ich in Bolivien von Anfang an Arbeit gefunden habe. Erst verkaufte ich in einem Laden Pfannen und Kochtöpfe, dann verrichtete ich kleinere Büroarbeiten, jetzt sitze ich an der Kasse einer Diskothek im Stadtzentrum von La Paz", sagt die übernächtigte Ingenieurin, die in Venezuela Erdgasleitungen kontrollierte und Projekte leitete. Es ist früher Nachmittag, erst vor kurzem ist sie aufgestanden. Sie frittiert Kochbananen - das erinnert sie an Venezuela. Ein süßlicher Duft verteilt sich in der Küche.

Kinder müssen zunächst abgegeben werden

Viele Venezolaner lassen ihre Kinder erst einmal zurück - beim anderen Elternteil oder bei Verwandten. So auch Rivas. Darüber spricht sie ungern, es schmerzt sie. Sie bekommt feuchte Augen, wenn man sie nach ihrem neunjährigen Sohn fragt. Rivas: "Er lebt in Venezuela bei meiner Mutter, bis ich eine feste Anstellung, geregelte Verhältnisse in Bolivien habe." Dann will sie ihn nachholen.

Seit Januar hat sich die Lage in Venezuela weiter zugespitzt. Dem südamerikanischen Staat droht der Bankrott, die Inflation beträgt rund 2.900 Prozent und ist damit die höchste weltweit. Proteste und Plünderungen von Supermärkten nehmen zu. Die Regierung von Präsident Nicolas Maduro geht hart gegen Aufständische vor - erst vor einigen Tagen wurden mehrere Menschen erschossen.

"Ich weiß nicht, wie das enden wird", sagt Rivas resigniert, "die Leute leiden zurzeit wirklich Hunger." Kurz bevor sie Venezuela verlassen habe, habe eine ältere Nachbarin an ihr Fenster geklopft und um ein bisschen Reis für ihre Enkelkinder gebeten. "Das hat mir das Herz gebrochen." Sie, Rivas, werde in naher Zukunft auf keinen Fall nach Venezuela zurückkehren.


Carolina Rivas verlässt Venezuela / © Camilla Landbo (KNA)
Carolina Rivas verlässt Venezuela / © Camilla Landbo ( KNA )
Quelle:
KNA