Fontane-Archiv feiert 75. Geburtstag

"Kummer sei lahm und Sorge sei blind"

Die Adresse könnte vornehmer kaum sein und hätte dem Dichter wohl gefallen: Die Villa Quandt zu Füßen des Potsdamer Pfingstberges, inmitten des großbürgerlichen Viertels der Nauener Vorstadt. Hier residiert seit 2007 das Fontane-Archiv, die wichtigste Anlaufstelle für Fontane-Forscher aus aller Welt.

Autor/in:
Sigrid Hoff
 (DR)

Unter dem Dichter-Zitat "Kummer sei lahm und Sorge sei blind; es lebe das Geburtstagskind" feiert es am Samstag sein 75-jähriges Bestehen. "Wir haben in dem schönen Haus eine Benutzersteigerung um das Dreifache erlebt", freut sich Hanna Delf von Wolzogen, die die dem Brandenburgischen Landeshauptarchiv zugeordnete Einrichtung leitet. Mit dem Umzug in die Villa Quandt ist das Archiv Anlaufstelle für Forscher wie für Kulturtouristen aus dem In- und Ausland, die auf den Spuren des märkischen Dichters wandeln. Mit seiner wertvollen Autographensammlung ist es bundesweit die einzige Stelle, die das Erbe des bedeutenden Literaten und Publizisten pflegt. Daher wurde es auch in das Blaubuch der Bundesregierung als ein "Kultureller Gedächtnisort" mit besonderer nationaler Bedeutung aufgenommen.

Derzeit hütet das Archiv etwa 18.000 Handschriften, die von Fontane selbst oder aus seinem Umfeld stammen. Dazu gehören bedeutende Werkmanuskripte ebenso wie die Briefe, seine Notiz- und Tagebücher ebenso wie Abschriften und Kopien der bis heute verschollenen Autographe.

Zersplitterung des Nachlasses drohte
Den Anstoß zur Gründung des Archivs gab die drohende Zersplitterung des Nachlasses. Das Werk des Dichters wurde nach dessen Tod 1898 zunächst von einer Kommission betreut, 1919 übernahm der jüngste Sohn, Friedrich Fontane, die Bestände und bemühte sich, sie um weitere Handschriften und Literatur zu erweitern. Sein Versuch, das Konvolut geschlossen an die Preußische Staatsbibliothek zu veräußern, scheiterte, 1933 kam es zu einer ersten Versteigerung.

Erst nach dem scharfen Einspruch von Fontane-Forschern und öffentlichen Protesten beschloss die Brandenburgische Provinzialverwaltung 1935, den Restnachlass zu erwerben und in ein Archiv zu überführen. Vieles war jedoch bereits verstreut: "Wertvolle Stücke hatte man an Privatpersonen versteigert, auch an die Staatsbibliothek, die ihre eigene Sammlung aufbaute, so dass wir bis heute aus diesem verstreuten Nachlass Handschriften zurückkaufen können", berichtet Hanna Delf von Wolzogen. Das ist umso nötiger, denn vom ursprünglichen Bestand ist dem Fontane-Archiv nur ein ganzes Viertel verblieben.

Der Neuaufbau nach dem Krieg erfolgte bereits ab 1947. An dem rasch entstehenden Autographenmarkt in der Bundesrepublik konnte das der Deutschen Staatsbibliothek zu Berlin (Ost) zugeordnete Archiv aber nur begrenzt teilnehmen. Dennoch gelang es, die Sammlung zu erweitern und die Reputation der Einrichtung als Anlaufstelle für Forscher zu wahren.

Fontane-Renaissance
Auch durch die Gründung der Fontane-Blätter als Publikationsorgan trug die kleine Potsdamer Einrichtung entscheidend zur Fontane-Renaissance bei, die seit den 50er Jahren in Ost und West zu verzeichnen war. Den Anstoß dazu gab eine Rezension von Thomas Mann über eine erste Briefausgabe Fontanes, es folgten in beiden deutschen Staaten ganze Werkeditionen. Die Schriften Fontanes wurden gesichtet und eine Grundlagenforschung angestoßen, die es bis dahin nicht gegeben hatte.

Mit der Wiedervereinigung Deutschlands erhielt das Werk des Dichters neue Aufmerksamkeit vor allem durch Fontane-Leser aus dem Westen, die sich mit den "Wanderungen" in der Tasche die Mark Brandenburg neu eroberten. Auch zeitgenössische Schriftsteller interessierten sich wieder für Fontane. So knüpfte Friedrich Delius mit seiner Novelle "Die Birnen von Ribbeck" an die berühmte Ballade des Dichters an, die er als Metapher für eine kritische Sicht auf die deutsche Einigung benutzt. Günter Grass erhob in seinem Roman "Ein weites Feld" gar das Fontane-Archiv zur literarischen Figur und machte es damit weltberühmt.

Nach 1990 konnte die Forschungseinrichtung, deren weitere Existenz im vereinigten Deutschland zunächst gefährdet war, seine Stellung als Institution des Landes Brandenburg sichern und seinen Bestand durch den Ankauf weiterer Autographe erweitern. Enttäuscht war Hanna Delf von Wolzogen, dass zuletzt ausgerechnet ein wichtiger Teil des originalen Ribbeck-Manuskripts einem Privatmann zugesprochen wurde. Er erwarb die drei Blätter für mehr als 200.000 Euro. Da konnte das Archiv nicht mithalten.