Forscherin sieht "blinden Fleck" beim Gedenken an Flucht

"Kein Teil der Erinnerungskultur"

Ein Boot, das einst Menschen aus Afrika transportierte, stand zunächst vor dem Kölner Dom und nun im Bonner Haus der Geschichte. Zu selten bleibt das Thema Flucht auf diese künstlerische Art präsent, kritisiert eine Forscherin.

Das Flüchtlingsboot im Haus der Geschichte / © Robert Boecker (Kirchenzeitung Koeln)

Erinnerungsplaketten an Bahnhöfen oder kleine Denkmäler in der Innenstadt - auf diese Art könnten die Themen Flucht und Vertreibung stärker im Bewusstsein bleiben: Das betont die Migrationsforscherin Judith Kohlenberger im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) am Sonntag. Das Jahr der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 liege nun fast ein Jahrzehnt zurück, fügte die Autorin hinzu, von der kommende Woche ein Essay und ein Sachbuch zur Gewalt an den Grenzen und deren Auswirkungen erscheinen.

Einige Museen und Aktionen bildeten diese Geschehnisse zwar ab, im öffentlichen Raum seien sie jedoch kaum präsent, sagte Kohlenberger. "Wir sehen das nicht als notwendigen Teil der europäischen Erinnerungskultur." Vertreibung und Exil würden im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg thematisiert, aber kaum im Bezug auf die jüngste Vergangenheit. Dies mache es schwieriger, diese Erfahrungen und auch das, was aktuell an den EU-Außengrenzen geschehe, "wirklich an sich heranzulassen".

Papst und Künstler bleiben am Thema dran

In der Bildenden Kunst gebe es vermehrt eine Auseinandersetzung mit diesem Thema, das viele Menschen von sich fernhalten oder unterdrücken wollten. "Aber auch im großen, gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang kommen wir nicht um die Frage herum, worauf dieser Kontinent aufbaut: auf einem Fundament von zigtausenden Grenztoten? Dieser Frage muss sich Europa als Friedensnobelpreisträgerin stellen."

Migranten in einem Holzboot während einer Rettungsaktion im Mittelmeer / © Jeremias Gonzalez (dpa)
Migranten in einem Holzboot während einer Rettungsaktion im Mittelmeer / © Jeremias Gonzalez ( dpa )

Kohlenberger zitierte auch Papst Franziskus, der das Mittelmeer wiederholt als "Friedhof" oder "Grab der Menschenwürde" bezeichnet hatte. "Das ist eine Realität, der wir ins Auge sehen müssen". Immer wieder habe es in der Vergangenheit auch Friedhöfe für Namenlose, etwa gefallene Soldaten, gegeben - "und heute sind diese Namenlosen die geflüchteten Menschen, die auf dem Weg nach Europa zu Tode kamen".

Für einen neuen Umgang mit Flucht und Geflüchteten brauche es breite Allianzen. "Sicherlich sind die Kirchen und Religionsgemeinschaften dafür ganz wesentlich", sagte die Forscherin. Aber auch Wirtschaftsvertreter, Kunst und Kultur sowie die Wissenschaft müssten sich des Themas annehmen. Sie wünsche sich mehr gewaltfreies Eintreten für die Einhaltung von Menschenrechten.

Quelle:
KNA