Der Mann vor dem Dom wirkt ein wenig abwesend und deplatziert. Irgendwie passt er nicht ins Vorzeigebild. Hier im westfälischen Münster, wo ich auf meiner Radpilgerreise durch zwölf Bistümer Station vor dem Paulus-Dom mache, ist man eigentlich im besten Sinne des Wortes gutbetucht, selbst wenn die Edeljeans Löcher hat. Sehen und gesehen werden, lautet die Devise der Selfiegesellschaft. Ich hätte auch gerne ein Foto von mir und meinem Rad hier vor dem Dom. Da ich aber den ganzen Tag schon im Selfiemodus war, wähle ich bewusst die klassische alte Methode: "Guten Tag - könnten Sie bitte für mich ein Foto machen?" Der schüchterne Mann winkt unbeholfen ab: "Nein, nein - ich kann das nicht - ich habe kein Handy!" Aber dann, als ich ihm versichere, dass man garantiert nix falsch machen kann, hilft er mir gerne. Nach drei weiteren mutigen Auslösern und Fotoklicks wirkt er erleichtert - sein Gesicht strahlt. Ich glaube es ist nicht, weil das mit dem Handyfoto funktioniert hat, sondern weil einer ihn überhaupt mal angesprochen hat.
Wenn ich eins schon in den ersten Tagen meiner Radtour mit Sicherheit sagen kann, dann dieses: Die meisten Menschen warten nur darauf, dass man sie anspricht. Sie helfen gerne und bereitwillig. Fast immer funktioniert der kurze Austausch - bleibt am Ende ein Lächeln: Ob ich dem Vermessungstechniker, der in der Landschaft seine optischen Geräte aufgebaut hat, ironisch frage, ob er gerade von mir ein Zielfoto machen würde - oder mir eine ältere Dame mit ihrem Elektrobike beim Überholen humorvoll zuruft: "In ihrem Alter bin ich auch noch selber gestrampelt!" - jedes noch so kleine Gespräch bringt uns Menschen einander näher. Gut, der Autofahrer, dem ich unbeabsichtigt die Vorfahrt genommen habe, zeigt mir hupend einen Vogel. Aber in der Summe sind fast alle Menschen freundlich und hilfsbereit - wenn ich sie denn anspreche. Gerade darum geht es - einfach mal den Anfang machen. Die direkte Ansprache kann so einfach sein. Probieren Sie es mal! Gerade unsere digital immer besser vernetzte Welt schmachtet geradezu nach direkter Begegnung und Kommunikation. Probieren Sie es mal. Jetzt in der Ferienzeit können Sie es doch einfach mal versuchen. Selbst wenn Ihre App Ihnen den Weg weist - und die Wettervorhersage verlässlich ausspuckt. Fragen Sie trotzdem nach dem Weg oder Wetter. Ich wette, Sie bekommen am Ende ein Lächeln geschenkt.
Ihr
Ingo Brüggenjürgen
Zurzeit auf multimedialer Pilgertour mit dem Fahrrad