Frage an Weihbischof Schwaderlapp

Wie steht die Kirche zu Scheidung?

Nach Mt 19, 9 akzeptiert Jesus im Falle der Unzucht eine Scheidung. Wie steht die Kirche zu dieser Aussage Jesu? (V.W.)

 (DR)

Lieber Herr W.,

Ich gebe den angefragten Text im Folgenden zunächst einmal synoptisch wieder, also im direkten Vergleich der Evangelisten Matthäus, Markus und Lukas:

Mt 19,3

Da kamen Pharisäer zu ihm, um ihn zu versuchen, und fragten: Darf man seine Frau aus jedem beliebigen Grund aus der Ehe entlassen? 4 Er antwortete: Habt ihr nicht gelesen, dass der Schöpfer sie am Anfang männlich und weiblich erschaffen hat 5 und dass er gesagt hat: Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen und sich an seine Frau binden und die zwei werden ein Fleisch sein? 6 Sie sind also nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch. Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen. 7 Sie sagten zu ihm: Wozu hat dann Mose vorgeschrieben, der Frau eine Scheidungsurkunde zu geben und sie aus der Ehe zu entlassen? 8 Er antwortete: Nur weil ihr so hartherzig seid, hat Mose euch gestattet, eure Frauen aus der Ehe zu entlassen. Am Anfang war das nicht so. 9 Ich sage euch: Wer seine Frau entlässt, obwohl kein Fall von Unzucht vorliegt, und eine andere heiratet, der begeht Ehebruch.

Mk 10,2
Da kamen Pharisäer zu ihm und fragten: Ist es einem Mann erlaubt, seine Frau aus der Ehe zu entlassen? Damit wollten sie ihn versuchen. 3 Er antwortete ihnen: Was hat euch Mose vorgeschrieben? 4 Sie sagten: Mose hat gestattet, eine Scheidungsurkunde auszustellen und die Frau aus der Ehe zu entlassen. 5 Jesus entgegnete ihnen: Nur weil ihr so hartherzig seid, hat er euch dieses Gebot gegeben. 6 Am Anfang der Schöpfung aber hat Gott sie männlich und weiblich erschaffen. 7 Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen 8 und die zwei werden ein Fleisch sein. Sie sind also nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch. 9 Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen. 10 Zu Hause befragten ihn die Jünger noch einmal darüber. 11 Er antwortete ihnen: Wer seine Frau aus der Ehe entlässt und eine andere heiratet, begeht ihr gegenüber Ehebruch. 12 Und wenn sie ihren Mann aus der Ehe entlässt und einen anderen heiratet, begeht sie Ehebruch.

Lk 16,18
Wer seine Frau aus der Ehe entlässt und eine andere heiratet, begeht Ehebruch; auch wer eine Frau heiratet, die von ihrem Mann entlassen worden ist, begeht Ehebruch.

Mindestens zwei Dinge werden hier meiner Ansicht nach deutlich: Zum einen erweist der Vergleich der Evangelisten, dass nur Matthäus die "Unzuchtsklausel" überliefert; Markus und Lukas kennen sie offenkundig nicht. Zum anderen zeigt die Lektüre der Matthäusfassung, dass diese Ausnahme im Grunde überhaupt nicht in die Argumentationslinie Jesu passt. "Sie sind also nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch. Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen" (19,6): Wie sollte dann ein "Fall von Unzucht" (19,9) dazu in der Lage sein, den Schöpferwillen Gottes außer Kraft zu setzen, den Jesus in gewohnt engagierter Weise nennt und verteidigt? Warum wird nicht einmal unterschieden, ob die Frau dazu bereit ist, die Unzucht einzustellen, oder dabei verharrt? Kann das der Wille Christi sein, der doch gemäß Mt 18 schon in der Gemeinde siebenundsiebzigfache – also faktisch grenzenlose – Vergebung gebietet? Sollte das nicht in noch stärkerem Maße in der Ehe und ihrer Krise gelten?

So stellt sich uns also letztlich die Frage, worin denn diese Unzucht (porneía) besteht, von der Jesus im Matthäusevangelium spricht. Das renommierte "Wörterbuch zum Neuen Testament" von Bauer und Aland definiert sie allgemein als "jede Art illegitimen Geschlechtsverkehrs" (übertragen auch als Götzendienst, der hier zwar nicht völlig ausgeschlossen ist, aber auch nicht naheliegt) und für den Fall von Mt 19,9 als "Untreue der Ehefrau". Diese Übersetzung gibt zwar die breite Auslegungstradition wieder, hilft uns aber nicht über den oben genannten Argumentationsbruch bei Matthäus hinweg.

Vermutlich werden wir das Problem niemals ganz zweifelsfrei auflösen können. Ich möchte aber nachdrücklich auf eine Parallele verweisen, die sich in der sogenannten "Damaskusschrift" findet, welche zu den Qumran-Schriften gehört. Dort ist im 7. Kapitel die Rede von Männern, die "der Unzucht überführt [werden], weil sie in ihrem Leben sich zwei Frauen nehmen" (Vers 1). Unter "Unzucht" wird hier also nicht etwa der Ehebruch als "illegitimer Geschlechtsverkehr" verstanden, sondern die in der Thora noch selbstverständliche Polygamie! Nicht zu unterschätzen ist, dass die Damaskusschrift ihre Haltung genau wie Jesus mit dem Willen des Schöpfers begründet: "Und doch ist es der Schöpfung Grundsatz: »Als Mann und Frau erschuf Er sie« (Gen 1,27)" (7,2). Wenn wir diesen Verständnishintergrund auf das Scheidungsverbot bei Matthäus anwenden, dann würde die Unzuchtsklausel lediglich besagen, dass der Mann nur eine Frau haben soll und jede weitere entlassen darf, ja soll. Das hieß in der damaligen Welt übrigens nicht, die betroffenen Frauen jedes Schutzes und Unterhalts zu berauben, weil sie in den Verband ihrer früheren Großfamilie zurückkehrten. So würde die Einheit der Ehe nicht erschüttert, sondern im Gegenteil nochmals unterstrichen; die Argumentation Jesu mit dem Schöpferwillen bliebe schlüssig. Insofern halte ich dies für die wahrscheinlichste Erklärung.

Ich will nicht schließen, ohne die Antwort auf den wesentlich einfacheren Teil Ihrer Frage zu geben, nämlich wie die Kirche zur Unzuchtsklausel stehe: Auch die lehramtlichen und kirchenrechtlichen Entscheidungen stellen die kompromisslose Konsequenz, mit der Jesus gegen die Ehescheidung argumentiert, über die (vermeintliche?) Ausnahme. Der verbindliche Katechismus der katholischen Kirche lehrt: "Jesus betonte die ursprüngliche Absicht des Schöpfers, der wollte, dass die Ehe unauflöslich sei. Er hob die Duldungen auf, die sich in das alte Gesetz eingeschlichen hatten [Vgl. Mt 19,7]. »Die gültig geschlossene und vollzogene Ehe« zwischen getauften Katholiken »kann durch keine menschliche Gewalt und aus keinem Grunde, außer durch den Tod, aufgelöst werden« (CIC, can. 1141)" (n. 2382, vgl. 2383-2386).

 

Ihre Segenswünsche erwidere ich herzlich und verbleibe

mit vielen Grüßen

+Dominikus Schwaderlapp


Weihbischof Dominikus Schwaderlapp / © Tomasetti (DR)
Weihbischof Dominikus Schwaderlapp / © Tomasetti ( DR )