Frankreich vor der Präsidentschaftswahl

Geschmack der Enttäuschung

Es geht um Minarette, Halalfleisch oder das Gebet auf der Straße. Frankreichs Muslime sehen sich durch die Regierung zunehmend diskriminiert. Eine Bilanz französischer Integrationspolitik einen Tag vor den Präsidentschaftswahlen.

Autor/in:
Martina Zimmermann
 (DR)

Mit Ikonen wie der späteren Justizministerin Rachida Dati hatte Nicolas Sarkozy im Wahlkampf 2007 Gesichter "mit Migrationshintergrund" auf die französischen Bildschirme gebracht. Eine Strategie, die 2012 an Attraktivität verloren hat. Wenige Tage vor der Präsidentschaftswahl am Sonntag ziehen die französischen Muslime eine kritische Bilanz.



Themen wie Islam und Immigration thematisierte Präsident Sarkozy immer wieder im aktuellen Wahlkampf. Sein Anliegen: Er will damit die rechtsextremen Wähler erreichen. Zudem rückten die Attentate von Toulouse und Montauban, die ein muslimischer Einzeltäter verübt hatte, Fragen von Sicherheit und islamistisch motiviertem Terror in den Mittelpunkt.



Als vor wenigen Wochen die Union der islamischen Organisationen Frankreichs zu ihrem Treffen zusammenkam, warnte Innenminister Claude Guéant vor völlig verschleierten Frauen. Und das, obwohl das vor einem Jahr verabschiedete Burka-Verbot bislang kaum zur Anwendung kommt. Laut Innenministerium kontrollierte die Polizei im zurückliegenden Jahr 354 Frauen, verhängte aber nur rund zehn Strafen. Diese Bilanz beweise, dass es sich von Anfang an um ein "marginales Phänomen" gehandelt habe, sagte der Vorsitzende der muslimischen Organisationen der Pariser Vororte, Mohamed Henniche.



Integration in Gefahr?

Henniche sieht die Integration der rund fünf Millionen Muslime in Frankreich, von denen lediglich ein Prozent Sarkozy 2007 ihre Stimme gab, in Gefahr: "Je näher der Wahltag kam, desto härter schoss die Sarkozy-Regierung auf Muslime." Es ging um Minarette, um Halalfleisch in der Kantine, um die "nationale Identität" oder Gebete auf den Straßen. Innenminister Guéant sprach von "überlegenen Zivilisationen" und meinte damit nicht den Islam.



Auch die laizistischen Muslime ziehen eine düstere Bilanz. "Sand in die Augen" war für Carole da Silva der Beginn der Ära Sarkozy: "Am Anfang waren wir begeistert von Sarkozys Reden und davon, dass er Minister und Staatssekretäre mit Migrationshintergrund ernannte", sagt da Silva, die für mehr "farbige" Gesichter in den französischen Eliten kämpft: "Aber die Torte ist schnell zusammengefallen. Es bleibt ein Geschmack der Enttäuschung."



Auch der Schriftsteller Karim Miské ist unzufrieden mit dem französischen Präsidenten: "Angeblich will Sarkozy integrieren, aber dann stellt er mal die Roma, mal die Muslime ins Abseits." Miské beklagt einen "doppelten Diskurs": "Die Kategorie kann sich ändern, aber es ist immer so, als stünden die echten Franzosen gegen die anderen."



"Er läuft dem rechtsextremen Front National hinterher"

Zur Amtszeit von Sarkozy gehören Debatten über die nationale Identität, den Platz des Islam, die doppelte Staatsangehörigkeit oder die Hautfarbe der Fußballnationalspieler. "Mit diesen Reden läuft er dem rechtsextremen Front National hinterher", analysiert Olivier Ferrand, Präsident der linken "Denkfabrik" Terra Nova. Das Volk sei weiter als die Politiker: "Die Franzosen wissen, dass Frankreich vermischt ist, dass man Schwarz sein kann und Franzose, Arabisch und Franzose wie auch Weiß und Franzose."



Das multikulturelle Magazin "Respect" veröffentlichte unterdessen eine Liste mit den Forderungen der Migranten an die aktuellen Präsidentschaftskandidaten. So wünschen sie sich eine Quittung bei Ausweiskontrollen. Auch über die Einführung von jüdischen und muslimischen Feiertagen soll nachgedacht werden. Eine weitere Forderung sind Statistiken nach ethnischer Zugehörigkeit, die bisher in Frankreich verboten sind.



Die meisten Kandidaten befürworten zwar mehr Gleichheit und eine bessere Integration. Doch nur im Wahlprogramm der Sozialisten wurde ein Vorschlag der Migranten aufgenommen: François Hollande will Unternehmern die Sozialkosten erlassen, die unter 30-Jährige aus den Einwanderervierteln einstellen. Die Idee stammt vom Unternehmer Yassine Djeziri, der trotz allem optimistisch in die Zukunft blickt: "Wir haben langsam aber sicher an der Macht teil." Djeziri ist Kandidat auf der Liste der Sozialisten für die Parlamentswahlen im Juni: "Wir müssen Türen aufbrechen und durchs Fenster herein steigen, aber wir werden es schaffen", sagt er.