domradio.de: Die äthiopische Regierung hat sechs Monate Notstand angekündigt. In dieser Situation kommt Bundeskanzlerin Angela Merkel nun in das Land. Jetzt merken wir in Deutschland relativ wenig von den Konflikten in Afrika. Worum wird denn gekämpft in Äthiopien?
Bruder Peter Amendt (Franziskanerbruder und Vorstandsmitglied des Netzwerkes Afrika Deutschland): Es gibt in Äthiopien eine große Opposition, die im Somalialand (Die Republik Somaliland ist als De-facto-Regime ein praktisch unabhängiger, international aber bisher nicht anerkannter Staat in Ostafrika, der den Nordteil Somalias – das ehemalige Kolonialgebiet Britisch-Somaliland – umfasst. - Anm. d. Red.) angesiedelt ist. Es gibt in Äthiopien aber auch gleichzeitig einen Konflikt mit dem Staat Somalia insgesamt und viele Konflikte innerhalb des Landes, so dass es immer wieder auch zu Zusammenstößen kommt, die zwar einen ethnischen Hintergrund haben, wo es aber faktisch um Machtverteilung geht und es sich darum dreht, wer über das Land bestimmen kann. Es ist also ein klassischer Machtkampf, der sich da abspielt.
domradio.de: Die westliche Welt und Europa betrachtet Äthiopien auch als Stabilitätsfaktor im östlichen Afrika. Warum das denn?
Bruder Peter Amendt: Äthiopien ist eine Achse, wenn man auf die Landkarte schaut. Wenn ich daran denke, dass sich gerade die westliche Welt mit der muslimischen Welt in einer Konfliktsituation befindet - man denke an Syrien und denn ganzen vorderen Orient - dann sieht man natürlich in Äthiopien die Möglichkeit, da gegenzusteuern. Insofern kommt diesem Land eine wichtige Bedeutung zu. Aber ob dieser Stabilitätsfaktor hält, ist eine andere Frage.
domradio.de: Zudem befindet sich in Äthiopien mit Addis Abeba ja auch der Sitz der Afrikanischen Union. Spielt das auch eine Rolle?
Bruder Peter Amendt: Mit Sicherheit. Denn wo immer die Afrikanische Union sitzt, gibt es Gestaltungseinfluss. Sie ist ja nicht umsonst da. Sie ist dort angesiedelt worden, weil man seinerzeit glaubte, ein sicheres Land zu haben.
domradio.de: Beim Stichwort "Äthiopien" denken viele immer noch an Hungerkatastrophen der 1970er und 1980er Jahre. Da hört man nur noch relativ wenig von. Ist das auch noch ein Problem?
Bruder Peter Amendt: Es ist ein Problem, das nur verdrängt wird. Ich selbst bin noch Mitglied einer anderen Einrichtung vor Ort in Äthiopien und da kümmern wir uns um die Hilfe für Dürreopfer, weil dieses Problem fortdauert. Gerade in diesem Jahr ist Äthiopien wieder sehr stark von einer Dürre bedroht. Wir vergessen oft, dass Unruhen und Hungersnöte einen Zusammenhang haben.
domradio.de: Jetzt besucht Bundeskanzlerin Merkel das Land, um unter anderem Fluchtursachen in Afrika und Äthiopien zu bekämpfen. Was muss sie denn dafür tun, dass diese Mission Erfolg hat?
Bruder Peter Amendt: Vor allem muss sie an der Situation der Bevölkerung ansetzen. Die Landwirtschaft ist die Grundlage der Ernährung in Äthiopien und dort sieht es sehr schlecht aus. Wir alle wissen um diese Dürren. Wenn das zur Landflucht führt, wächst der Druck auf die Städte - vor allem auf die Hauptstadt Addia Abeba. Und von dort führt der nächste Weg nach Draußen, Richtung Europa.
domradio.de: Denken Sie denn, dass der Besuch der Kanzlerin in dieser Beziehung etwas verändern kann?
Bruder Peter Amendt: Zumindest ist ein Hoffnungsschimmer für die Bevölkerung. Die Hoffnungen sind sehr stark und mögen der Wirklichkeit nicht entsprechen. Aber es ist wichtig, dass ein Zeichen gesetzt wird, dass auch Armutsländer im Visier sind und nicht nur potentielle Rohstoffländer.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.
