Ein Obdachloser sitzt mit seinen Habseligkeiten am Straßenrand und bittet Passanten um ein bisschen Kleingeld: "Haste mal nen Euro?" Eine alltägliche Szene in deutschen Städten. Und genauso oft kommt es wohl vor, dass die Angesprochenen rasch weitergehen, womöglich die Straßenseite wechseln. Um kein Geld geben zu müssen. Und der Frage aus dem Weg zu gehen, wo die Spende wohl am Ende landet.
Die Aachener Franziskanerinnen wollen etwas dagegensetzen. In Gestalt des "Schervier-Frühstücks-Talers", den Passanten an der Pforte des Klosters oder in zehn Filialen der kooperierenden Bäckerei erwerben können - und den Bedürftige eintauschen können gegen ein Frühstück in der Franziska-Schervier-Stube, benannt nach der Gründerin "der Armen-Schwestern vom heiligen Franziskus". Das Projekt existiert in seinen Grundzügen bereits seit 2006, wurde aber jetzt mit einer Neuauflage von 15.000 Talern und der Hilfe von Studierenden der Fachhochschule Aachen weiterentwickelt.
30.000 Spendentaler in Umlauf
Der Grundgedanke: Menschen das Spenden erleichtern - und ihnen die Gewissheit geben, dass ihre Gabe ankommt. Schwester Veronika Stolze, die das Projekt seit den Anfängen begleitet sagt, wichtig sei vor allem der gegenseitige Respekt. "Auch der Obdachlose oder Bettler hat es verdient, dass man ihm ins Gesicht blickt, wenn man angesprochen wird", so die Ordensfrau. "Hinsehen statt Wegsehen" laute die Devise.
Die Idee für den Slogan "Sei kein Otto! Drück dich nicht vor der Frage nach Kleingeld. Mit dem Spendentaler immer die richtige Antwort dabei" hatten die drei Studentinnen Birte Ossenkop, Genevieve Seillier und Martha Breil. Aktuell sind laut Schätzungen der Verantwortlichen 30.000 Spendentaler in Aachen und Umgebung in Umlauf.
Das erste Ziel des Tages
In der Franziska-Schervier-Stube herrscht sechs Tag die Woche allmorgendlich reger Betrieb. Der Spendentaler und die Idee kommen an - bei Spendern wie bei Menschen in Not. In dem freundlichen, großen Raum im Obergeschoss, wo die sich die Taler-Inhaber ab 8.15 Uhr zum Frühstücken versammeln, riecht es nach frischem Kaffee, klappert Geschirr und raschelt hin und wieder eine Zeitung. "Mittlerweile kommen täglich zwischen 80 und 120 Gäste und durch die neue Kampagne haben wir auch viele neue Gesichter hier", verrät Schwester Veronika, die täglich um 7.00 Uhr morgens mit den Vorbereitungen beginnt. Dann kochen sie und ihr Team Kaffee und richten die Brötchen und den Aufschnitt her.
Die beiden Freunde Bodo und Peter sind hier gern zu Gast. Bodo ist Mitte Fünfzig und kommt von Montag bis Samstag jeden Tag in die Schervier-Stube. "Hier fühle ich mich angenommen, sicher und hier habe ich mein erstes Ziel am Tag, es gibt mir Struktur", sagt er.
Peter sieht es ähnlich. "Nach einer Krankheit habe ich den Boden unter den Füßen verloren, das Geld hat einfach nicht mehr gereicht und so bin ich hierher gekommen." Den Taler anzunehmen und sich selbst einzugestehen, dass man bedürftig sei, habe anfangs allerdings Überwindung gekostet, sagt er.
Vom Wohlstand etwas abgeben
Natürlich gibt es hin und wieder auch negative Reaktionen. Weil manch einer enttäuscht ist, wenn er statt eines frei einsetzbaren Geldbetrags "nur" den grünen Schervier-Taler bekommt. Doch viele machen positive Erfahrungen. So wie die ältere Dame, die zusammen mit ihrem Enkel gerade beim Bäcker zehn Spendentaler gekauft hat.
Ihr sei es wichtig, dass ihre Spende nicht für "irgendwas" genutzt werde, sagt sie, während sie den ersten der soeben erworbenen Taler fünf Meter weiter gleich weitergibt. Nebenbei lerne ihr Enkel, wie wichtig es sei, etwas vom eigenen Wohlstand abzugeben, sagt sie.