epd: Der internationale Einsatz in Afghanistan zielte auch auf die Durchsetzung der Menschen- und Bürgerrechte. Was hat das Eingreifen des Auslands den Frauen gebracht?
Grau: Im reinen Vergleich zur Taliban-Herrschaft hat sich viel zum Besseren geändert. Unter den Taliban waren die Frauen ja absolut der Gewalt ausgeliefert und hatten keinerlei Freiheiten. Nach wie vor leiden die Frauen in Afghanistan aber stark unter Gewalt und Belästigungen. Und wie viele Freiheiten sie haben, ob sie beispielsweise eine Ausbildung machen können oder arbeiten dürfen, hängt sehr stark von der Familie ab. Auf dem Papier hat sich seit der Jahrtausendwende vieles verändert und verbessert, an der Umsetzung fehlt es aber weiterhin. In der Realität hat nur ein kleiner Anteil der Frauen in den Städten wirkliche Freiheiten gewonnen.
epd: Was bedeutet der Abzug der internationalen Truppen für die Frauenrechte?
Grau: Es ist jetzt schon eine deutliche Verschlechterung der Situation der Frauen spürbar, weil die internationale Gemeinschaft nicht mehr so sehr präsent und aufmerksam ist. Das Pendel ist schon zurückgeschwungen in Richtung Fundamentalismus. Frauen, die sich für ihre Rechte einsetzen, werden mundtot gemacht. Es wird schlechter - das hat schon angefangen -, aber in welchem Ausmaß, ist offen.
Andererseits sind die internationalen Truppen auch ein Teil des Konflikts. In den ersten Jahren des Einsatzes, auch der Bundeswehr, hat sich vieles sehr positiv entwickelt. Irgendwann nahm dann die Enttäuschung in der Bevölkerung immer mehr zu. Und da Frauenrechte von vielen als 'westlich' wahrgenommen werden, trägt die Ernüchterung über den Einsatz auch zum Widerstand gegen diese Rechte bei. Daran dürfte auch der Abzug nichts ändern.
epd: Welche Unterstützung brauchen die afghanischen Frauen aus dem Ausland?
Grau: Zum einen brauchen die Frauen in Afghanistan einen funktionierenden Justizapparat und eine effektive Polizei, um ihre festgeschriebenen Rechte durchzusetzen. Wir erwarten von der Bundesregierung und der internationalen Gemeinschaft, dass sie sich dafür stark machen und der afghanischen Regierung immer wieder klar zu verstehen geben, dass die Frauenrechte umgesetzt werden müssen.
Ganz wichtig ist aber auch die internationale Aufmerksamkeit und Solidarität. Hier sind Bürgerinitiativen und Kirchen gefragt: Sie müssen immer wieder auf die Lage der afghanischen Frauen und deren Ringen um ihre Rechte aufmerksam machen. Wir dürfen uns nicht abwenden.
