Für die asiatische Reisegruppe ist es eine zusätzliche Touristenattraktion, die sichtlich für amüsiertes Staunen sorgt. Entzückt halten alle die Handys in die Luft, um der Dokumentation ihrer exotischen Eindrücke, die sie bei ihrem Deutschland-Stopp gewinnen, einen weiteren im Schatten des Kölner Domes hinzuzufügen.
"KirchenMusikWoche" im Erzbistum Köln
Andere, die bei dem einen oder anderen Stück mitwippen oder –summen, sind ganz gezielt gekommen. Sie wissen von diesem besonderen Angebot um 13 Uhr auf der Domplatte während der "KirchenMusikWoche" im Erzbistum und lesen im Programm nach, was Markus Karas, Organist und Kantor am Bonner Münster, gerade spielt. Auch wenn dieser das mit knappen Erläuterungen zu der getroffenen Programmauswahl, die mit viel Feingefühl auf Wiedererkennungswert, aber auch Breitenwirkung angelegt ist, noch einmal selbst ankündigt.
Andächtig lauschen die Zuhörer 25 Minuten lang diesem musikalischen Vortrag an einem ungewöhnlichen Ort. Und wieder andere – zweifellos die Mehrzahl – sind zufällige Passanten. Sie bleiben einfach stehen und freuen sich, zwischen Hohe Straße und Bahnhof die eigene Betriebsamkeit für ein paar Minuten gegen eine andächtige Verschnaufpause eintauschen zu können. Jedenfalls steht ihnen ihre Neugierde ins Gesicht geschrieben.
Ernste Absichten
"Das genau war unser Wunsch", kommentiert Richard Mailänder, der die von Minute zu Minute immer dichter werdende Menschentraube, die bald den Orgelspieltisch mit großer Aufmerksamkeit unter den Arkaden des Domforums umstellt, zufrieden beobachtet. "Dass die Orgel, die sonst weit oben auf einer Empore und damit für Kirchgänger auch oft außerhalb ihres optischen Wahrnehmungsradius steht, nun in einer Fußgängerzone für den beabsichtigten Überraschungseffekt sorgt und zum Publikumsmagneten wird."
Trotz des bewussten Unterhaltungswertes verbindet der Ideengeber der diözesanen Kirchenmusikwoche mit diesem Projekt auch ernste Absichten. Dieses Kircheninstrument auf die Straße zu holen, dahin, wo sich das Leben der Menschen abspielt, ist nämlich auch ein gut getarnter Werbetrick. Und damit der auch wirklich ankommt, hat sich der Diözesankirchenmusikdirektor Organisten – jüngere und ältere, Frauen wie Männer – aus allen Teilen des Bistums gesucht, die mit ihrem virtuosen Spiel nun hier ganze Überzeugungsarbeit leisten.
Ein breites Spektrum an Musikstilen will er mit diesen Freiluftdarbietungen repräsentiert sehen, vor allem aber Stücke, die ihre Wirkung auch auf der Straße entfalten und für Laufpublikum nicht zu intellektuell sind, wie er erklärt. "In vielen Gemeinden verfügen wir über eine professionelle Exzellenz, was das Orgelspiel angeht. Da gibt es wirklich hervorragende Organisten – und das nicht nur in den Großstadtpfarreien. Davon wollen wir hier etwas zeigen."
Aha-Erlebnisse
"Toll, dass die Orgel mal rauskommt und die Leute an diesem ungewöhnlichen Ort einfängt", findet auch Domorganist Winfried Bönig, der mitten in der Menge steht und dem Experiment ebenfalls gute Noten gibt. Auf das Aha-Erlebnis hat auch Monsignore Markus Bosbach, Leiter der Hauptabteilung Seelsorgebereiche, bei der Planung dieses Events gesetzt. "Mit einem Mal erleben die Menschen, dass dieses kirchliche Instrument in einem anderen Kontext völlig neue Assoziationen weckt.
Viele kommen nicht mehr in die Kirche und daher auch mit einer Orgel kaum noch in Berührung." Ein solches kleines Konzert unweit des Domes aber könne ganz grundsätzlich Lust auf Musik machen und vielleicht sogar darauf, dieses Instrument zu erlernen. Schließlich gäbe es im gesamten Bistum neben einer Vielzahl an Musikprogrammen für Kinder auch Orgel-Basiskurse für Erwachsene.
Öffentlichkeit als Chance
Was man mit viel Fleiß innerhalb nur weniger Jahre auf diesem Instrument erreichen kann, demonstriert Kilian Homburg drei Stunden später an gleicher Stelle. Mit nur zehn Jahren hat er bei Markus Karas mit Orgelunterricht begonnen. Mittlerweile ist der 17-jährige Abiturient Preisträger bei "Jugend musiziert", wo er beim Bundeswettbewerb in diesem Jahr den ersten Platz belegt hat. In den Bonner Pfarrgemeinden ist er längst ein gefragter Aushilfsorganist und verfolgt dasselbe Interesse wie Karas auch: den Menschen im Vorübergehen auf der Domplatte etwas von den Möglichkeiten und der Schönheit dieses Instrumentes zu vermitteln.
"Diese Öffentlichkeit hier ist eine Chance. Und ich würde mich freuen, wenn ich mit meinem Spiel dazu beitragen könnte, den einen oder anderen fürs Orgelspiel zu begeistern." Mit Werken von Max Reger, und Franz Liszt, aber auch einer hochvirtuosen Interpretation einer der Komposition seines Lehrers versucht das junge Nachwuchstalent sein Glück und spielt sich – der frenetische Applaus belohnt umgehend so viel Mut – in die Herzen der Umherstehenden.
Die grauhaarige Dame mittleren Alters, die schon vorher bei dem beliebten Musikstück "Sortie" von Alfred Lefébure-Wély, das irgendwie an fröhliche Kirmismusik erinnert, rhythmisch mitgegangen war, zeigt sich ganz begeistert von so viel Musikalität und Spielfreudigkeit des jungen Mannes. "Eine gelungene Idee – diese Orgelkonzerte mit Freiluftorgel", lobt sie. Auch die berühmte Toccata F-Dur aus der Symphonie Nr. 5 von Widor, ein festliches Bravourstück der Orgelliteratur und gerne als "Rausschmeißer" gespielt, kennt sie. "Ist schon toll, so etwas hier an einem ganz normalen Werktag zu hören. Dabei geht einem mal eben zwischendurch das Herz auf."