Freiwillige aus 50 Jahren berichten über ihre Erfahrungen mit der Aktion Sühnezeichen

"Wir gingen dahin, wo Not war"

Einen Sprung ins kalte Wasser nennt Johannes Gockeler seine Entscheidung heute. 2001, mitten in der zweiten Intifada, verweigert der 19-Jährige den Kriegsdienst in Deutschland, um in Jerusalem einen Friedensdienst zu leisten. "Helfen wollte ich", sagt der Schwabe. Und so betreute er Woche für Woche Kinder, deren Mütter vor den Schlägen ihrer Männer in ein Frauenhaus geflohen waren. 18 Monate lang. Solange dauerte der Freiwilligendienst der Aktion Sühnezeichen.

 (DR)

Seit 50 Jahren organisiert sie Friedensdienste in inzwischen 13 Ländern. Als eine Form der Wiedergutmachung der Verbrechen der NS-Diktatur. Nicht mit Worten, sondern mit Taten soll so Versöhnung zwischen den Völkern entstehen. Rund 10.000 junge Männer und Frauen haben seither in Altenheimen, Behinderteneinrichtungen oder in Gedenkstätten im In- und Ausland gearbeitet. Für zwei Wochen in einem Sommerlager oder für 18 Monate bei einem Auslandseinsatz.

"Das war wohl eine der wichtigsten Erfahrungen in meinem Leben", sagt der Judaistikstudent Johannes Gockeler. In Jerusalem lernt der heute 26-Jährige den Künstler Jehuda Bacon kennen. Einmal in der Woche besucht er ihn, räumt das Atelier des Künstlers auf, sortiert Briefe und Bilder oder reinigt Pinsel. Dabei entspinnen sich intensive Gespräche zwischen dem jungen Deutschen und dem alten Juden, der als Jugendlicher erst das Ghetto in Theresienstadt, dann Auschwitz überlebt hat.

In den Anfangsjahren reisten junge Deutsche vor allem zu Bauarbeiten ins Ausland. 1964 helfen etwa 23 junge Menschen beim Wiederaufbau der durch ein Erdbeben stark zerstörten jugoslawischen Stadt Skopje. Mit dabei ist die West-Berlinerin Ilse Pieplow. Sie arbeitet in der Küche, schnippelt Gemüse und kocht für den Bautrupp. 1964 sind die Geschlechterrollen noch klar getrennt. "Wir gingen dahin, wo Not war", sagt die heute 69-Jährige. Sicher, Abenteuerlust sei auch dabei gewesen. Der Einsatz in Skopje ist ihre erste große Auslandsreise.

Ursprünglich als gesamtdeutsche Aktion gegründet, scheitern gemeinsame Einsätze mit ost- und westdeutschen Teilnehmern bereits in den ersten Jahren an den fehlenden Ausreisebewilligungen für Teilnehmer aus der DDR. Der Bau der Mauer teilt die Friedensaktion
endgültig: Da Auslandseinsätze den jungen Leuten in der DDR verwehrt bleiben, arbeiten sie seit 1962 für zwei Wochen auf Sommerlagern in Altenheimen, Behinderteneinrichtungen, später dann auf jüdischen Friedhöfen oder Gedenkstätten.

Inoffiziell organisiert Aktion Sühnezeichen aber immer auch wieder Lager in Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn. Romi Romberg lacht verschmitzt, wenn sie davon erzählt. Mehrmals reiste sie in den 70er Jahren privat nach Polen, organisiert Ort und Zeit der Lager.

Unter anderem ist der der Solidarnosc-Bewegung nahestehende "Klub der katholischen Intelligenz" eine Kontaktadresse. Als "Privaturlauber" getarnt kommen die eingeweihten Lagerteilnehmer dann im Sommer aus der DDR in das Nachbarland, wo sie gemeinsam mit polnischen Freiwilligen in einem Versöhnungsprojekt arbeiten. Durch den visafreien Reiseverkehr sind bis Anfang der 80er Jahre die Grenzen nach Polen quasi offen. Protokolle gibt es davon nicht. "Zu gefährlich", sagt Romberg, die auch heute noch für den 1991 wiedervereinigten Verein Sommerlager organisiert - inzwischen in vielen europäischen Ländern.

In der DDR gab es bis zu 30 Sommerlager jährlich. Sechs Stunden Arbeit am Tag, am Abend wird diskutiert, musiziert, gespielt.
Gottesdienste und Ausflüge gehören zum Programm. "Da war man mitten hineingestoßen in die Menge ebenso engagierter Menschen", sagt die bildende Künstlerin Christa Jeitner. Sie war 1973 bei einem Sommerlager im vogtländischen Bad Elster dabei, arbeitete zusammen mit anderen jungen Menschen im Garten eines evangelischen Krankenhauses. Viele Freundschaften sind in dieser Zeit entstanden und geblieben. "Die Arbeit hat uns aber auch mit den Freiwilligen im Westen verbunden", sagt sie.