KNA: Frere Alois, überall auf der Welt entsteht neue Not, haben Sie beim Eröffnungsgebet zu den Jugendlichen gesagt und auf Krieg, Vertreibung und Ungerechtigkeiten hingewiesen. Ist das Europäische Taize-Treffen ein Krisentreffen?
Frere Alois: Ja, weil diese Krise überall zu spüren ist. In Spanien haben vor allem viele Jugendliche keine Arbeit, in Europa stehen viele Menschen hilflos vor der Flüchtlingswelle aus dem Nahen Osten.
Und die jungen Christen, die in diesen Tagen hier zusammenkommen, müssen sich fragen, wie sie mit dieser Situation umgehen. Gleichzeitig ist bei diesen Treffen eine Freude spürbar, dass so viele Menschen zusammenkommen und dadurch konkret zeigen: "Wir wollen Europa." Wenn mehr als 2.000 Ukrainer bis nach Valencia kommen, dann bringen sie damit zum Ausdruck, dass sie zusammengehören wollen.
KNA: Und trotzdem erzählen Sie den Jugendlichen in Ihren Abendimpulsen vom Leid im Libanon und im kriegsgeplagten Syrien, das Sie über Weihnachten besucht haben. Die Jugendliche hier sollen "Menschen des Friedens" werden, haben Sie gesagt. Was können die jungen Europäer denn gegen das Leid in Syrien tun?
Frere Alois: Menschen des Friedens zu sein heißt zuallererst gut hinhören, was die Betroffenen uns sagen wollen. Jugendliche in Homs haben mir erzählt, dass die Mehrheit der Christen und der verschiedenen Strömungen des Islam in Syrien zusammenleben wollen.
Aber sie haben mir auch gesagt, dass ihre Stimme vom Lärm der Waffen und der Gewalt übertönt wird. Ich will ihr Anliegen weitergeben, hier in Valencia und in Europa. Das zweite ist, deutlich zu machen, dass Gott die Gewalt nicht will, dass Gott auf der Seite der Opfer steht.
Unsere Antwort auf die Krise in Syrien muss sein, dass wir hier bei uns mit unserem Leben ausdrücken, dass Gott Liebe und Barmherzigkeit ist. Das erfordert ein noch viel radikaleres Engagement von uns als bisher.
KNA: Barmherzigkeit ist kein leicht zu fassender Begriff.
Frere Alois: "Barmherzigkeit" will sagen, dass wir unser Herz ändern. Der Weltfriede entsteht nicht nur durch Organisieren, der Weltfriede muss in unseren Herzen anfangen. Barmherzig zu sein heißt, ein Herz für die anderen zu haben, zu wagen, aus uns heraus- und auf die Benachteiligten in der Gesellschaft zuzugehen. Und zwar zuallererst hier bei uns. Barmherzig zu sein heißt auch, unsere Ängste zu besiegen: die Angst vor der Zukunft unserer Gesellschaft angesichts von Arbeitslosigkeit, die Angst vor Fremden. Diese Ängste müssen wir ernst nehmen, aber letztlich über sie hinausgehen.
KNA: Was sagen Sie Jugendlichen, die Angst vor Flüchtlingen haben?
Frere Alois: Dass nur der persönliche Kontakt mit den anderen Kulturen weiterführt. Zäune zu bauen wird keine Lösung sein, denn die Flüchtlinge werden dennoch kommen. Wir leben in einer Zeit der Globalisierung, in der Abschottungen nicht mehr möglich sind. Wir können auch nicht mehr hinter das gemeinsame Europa zurückgehen.
Europa ist eine Realität und Europa kann nur wachsen, wenn es für andere offen ist. Der persönliche Kontakt mit den anderen Kulturen lässt die Angst vielleicht nicht automatisch verschwinden, aber er hilft, uns nicht von ihr lähmen zu lassen.
KNA: Mit den Europäischen Jugendtreffen wollen Sie genau diesen persönlichen Kontakt fördern, aber immer weniger junge Menschen lassen sich darauf ein. In den 90er Jahren nahmen bis zu 100.000 an den Begegnungstagen teil, jetzt sind es 25.000, die spanischen Gastgeber mit eingerechnet.
Frere Alois: Die Teilnehmerzahlen sind wieder so wie vor der Öffnung Europas. Wir hatten in den 90er Jahren sehr viele Jugendliche aus Osteuropa und auch Touristen. Wir wollten alle aufnehmen, aber die Situation war nicht leicht. In manchen Jahren waren wir so viele, dass die gastgebenden Städte manchmal überfordert waren. Wir sind sehr dankbar, dass die Jugendlichen jetzt mit einem großen Engagement kommen. Wir wissen auch, dass heute nach den Europäischen Treffen zu Hause viel mehr weitergeht als früher.
KNA: Zum Beispiel?
Frere Alois: Ich war im April in der Ukraine und habe dort mit der orthodoxen Kirche Ostern gefeiert. Orthodoxe, griechisch-katholische, katholische und protestantische Kirchen tun sich dort miteinander schwer. Aber ich habe gespürt, dass die Jugendlichen, die bei den Europäischen Treffen waren, die Ökumene vorantreiben. Das meine ich mit Engagement.
Das Interview führte Ricarda Breyton.