domradio.de: Während des Weltjugendtags 2005 ist Ihr Vorgänger, der Gründer der Taizé-Bruderschaft, Frère Roger, beim Abendgebet in Taizé von einer geistig verwirrten Frau erstochen worden. Was ging in Ihnen vor, als Sie von Rouen gehört haben?
Frère Alois, der Prior der Ökumenischen Bruderschaft von Taizé: Ich habe nicht sofort an das Attentat gegen Frère Roger gedacht, da es zwei verschiedene Situationen sind: Damals war es eine geistig gestörte Person. Dieses Mal war es eine Gewalt, die politisch-ideologisch motiviert war. Insofern sind die zwei Situationen unterschiedlich. Der Schock war natürlich riesig, als ich das auf der Reise nach Krakau gehört habe.
domradio.de: Wie haben Sie reagiert? Haben Sie Kontakt aufgenommen?
Frère Alois: Ich habe sofort an den Bischof und an den Generalvikar der Diözese geschrieben und Ihnen meine Solidarität zugesichert. Auch den Jugendlichen, die wir aus der Diözese kennen, wollte ich dadurch meine Verbundenheit zeigen.
domradio.de: Kommen wir noch einmal auf Frère Roger zurück: Die Tat geschah vor elf Jahren. Möglicherweise geht es den Menschen in der kleinen Gemeinde in Saint-Etienne-du-Rouvray nun ähnlich wie Ihnen und Ihrer Gemeinschaft damals. Wie schwer ist es, so eine Tat zu bewältigen?
Frère Alois: Der Schock ist natürlich riesig. Wir waren damals in Taizé darüber erstaunt, dass uns dieser Schock auch zusammengeführt hat; er hat uns näher gebracht. Wir haben sofort verstanden, dass wir jetzt zusammenstehen müssen und dass wir jetzt mit unserem Glauben noch ernster machen müssen! Ich hoffe sehr, dass uns auch diese Gewalttat - diese Ermordung des Priesters - zu so einer Reaktion führt, so dass wir noch enger zusammenstehen und dass wir noch ernster machen werden mit unserem Glauben.
domradio.de: Die Gelegenheit dazu ist groß, denn in Krakau sind viele katholische Menschen beieinander. Wird auf dem Weltjugendtag denn über solche Ereignisse gesprochen? Hat man bei so einer Veranstaltung Zeit für solche Gespräche?
Frère Alois: Ja, natürlich. Die Jugendliche waren und sind sehr betroffen. Französische Jugendliche haben auch geweint und waren sehr betroffen von diesem Attentat. Es ist dann ganz wichtig, darüber zu reden. Wir müssen tiefer verstehen, dass unser Glaube nicht einfach nur leicht zur Freude führt, sondern dass wir auch Fragen, wie die nach Leid und Gewalt - umgekehrte Fragen in unserer Welt - in unseren Glauben integrieren müssen. Ich denke, der Weltjugendtag ist auch eine Antwort auf diese Attentate, die wir in Frankreich und auch in Deutschland jetzt erleben. Darin nämlich, dass Jugendliche sehr klar spüren, dass die Geschwisterlichkeit, die Fraternität, die Freundschaft über Grenzen hinweg, über Kontinente hinweg, Antworten sind auf diese Gewalt, die wir erleben.
domradio.de: Wie bekommt man diese Gratwanderung hin, dass man die Probleme und die Ängste zwar thematisiert, gleichzeitig aber die Freude auch nicht zu kurz kommt?
Frère Alois: Das ist die Mitte unseres christlichen Glaubens: Es geht darum, dass wir das Kreuz und die Auferstehung zusammen sehen. Es gibt keinen Auferstehung ohne das Kreuz und es gibt kein Kreuz ohne die Auferstehung. Das müssen wir jetzt in diesem Zeitpunkt nicht nur sagen, sondern wir müssen in unserer nächsten Umgebung aus diesem Glauben leben.
domradio.de: Sie werden selbst bis Sonntag beim Weltjugendtag in Krakau dabei sein. Gibt es etwas, von dem Sie sagen, darauf ist meine Freude im Voraus schon besonders gerichtet?
Frère Alois: Ich freue mich riesig, dass sich Papst Franziskus an die Jugendlichen wenden wird und dass er ihnen ganz sicher Hoffnung machen wird. Er hat diese große Gabe und es ist ein Gottesgeschenk, dass wir dieses Treffen zusammen mit ihm haben.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.