Wie sieht die Basis in Israel den Nahostkonflikt?

In Frieden mit dem Nachbarn leben

Die Medien zeigen etliche Bilder der Gewalt im Nahen Osten. Die Situation an der Basis ist jedoch teilweise eine andere. Juden und Muslime helfen sich gegenseitig, es gibt gemeinsame Aufräumaktionen und Demonstrationen für den Frieden.

Zerstörung in der israelischen Stadt Akko / © Andrea Krogmann (KNA)
Zerstörung in der israelischen Stadt Akko / © Andrea Krogmann ( KNA )

DOMRADIO.DE: Seit vergangener Nacht sollen die Waffen schweigen. Hat das bisher funktioniert?

Andrea Krogmann (Nahost-Korrespondentin der Katholischen Nachrichten-Agentur / KNA): Es sieht so aus, als hätte das bisher gehalten und wir hoffen natürlich, dass es auch so bleibt.

DOMRADIO.DE: Man hört in den Medien viel von Kampfhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern, von Raketen, Luftangriffen und Straßenkämpfen. Gibt es denn im Moment überhaupt noch Menschen vor Ort, die sich für ein friedliches Miteinander einsetzen?

Krogmann: Die gibt es in der Tat und die gibt es, glaube ich, immer. Also nicht nur in Zeiten, wo der Konflikt eskaliert. Sondern auch im ganz normalen Alltag, wenn es mal ruhigere Phasen sind, gibt es diese Gruppen. Die sind in diesen Zeiten jetzt natürlich auch wieder sichtbarer geworden.

Es gibt viele Graswurzelbewegungen, wie man das so schön nennt. Es gibt zum Teil aber auch Lokalpolitiker, wie zum Beispiel den Bürgermeister aus dem Gebiet der Negev-Wüste, die sich zusammen für ein friedliches Miteinander und gegen Gewalt aussprechen.

DOMRADIO.DE: Wie sieht das dann konkret aus? Werden da gemeinsam Demonstrationen vorbereitet oder worum geht es da?

Krogmann: Es gibt verschiedene Ansätze, verschiedene Events, sage ich mal. Das ist ja ein Teil dieser Graswurzelbewegung, dass die nicht über einen Kamm zu scheren sind. Es gibt auf der einen Seite Gruppierungen, die dazu aufgerufen haben, gemeinsam auf die Straße zu gehen. Zum Beispiel mit T-Shirts, die extra bedruckt wurden, wo dann auf Englisch, auf Hebräisch und auf Arabisch zum Beispiel eines dieser Sprichworte draufstand: "Juden und Araber weigern sich, Feinde zu sein" draufsteht.

Oder es gibt auch Initiativen, wo mit wunderschönem handgemalten Plakaten in allen Farben, Frieden, Botschaften vermittelt werden. Das ist eine Sache.

Dann gab es durchaus sehr konkrete Aktionen, wo zum Beispiel spontan an Städten und dort, wo es zu Gewalt kam, eine Seite die andere Seite und beide Seiten zusammen zu Aufräumaktionen aufgerufen haben. Es gibt Aktionen im Internet, also in den sozialen Netzwerken. Und es gibt natürlich auch Gespräche im Bereich der Lokalpolitik. Da geht es natürlich um klare Aufrufe, um Gespräche. Es gibt eine weite Bandbreite.

DOMRADIO.DE: Wie war das denn in den letzten Tagen, als die Kämpfe und Angriffe eskaliert sind? Hat man da gemerkt, dass das mehr wurde? Oder haben sich die Leute mit diesen Aktionen und Initiativen eher zurückgehalten?

Krogmann: Nein, das ist schon mehr geworden. Man muss sagen, Friedensbewegungen gibt es hier schon über einen langen Zeitraum. Aber natürlich gerade in so einem Moment, wo die Gewalt so greifbar, so hörbar, so sichtbar ist, da kommen die raus mit Aktionen, um einfach zu sagen: Es gibt hier eine Gruppe von Menschen, die einfach friedlich zusammenleben wollen.

Die sagen genau in diesem Moment dann: Jetzt nicht. Wir wollen hier keine Demagogen, die noch mehr Gewalt schüren. Wir wollen keinen Extremismus, keine Gewalt von egal welcher Seite. Wir wollen Sicherheit. Wir wollen Frieden. Wir wollen zusammenleben.

Das merkt man in diesen Tagen natürlich stärker, auch wenn man sagen muss, dass die Bilder und die Stimmen der Gewalt vielleicht doch stäker hör- und sichtbar sind als die kleinen Initiativen, die ja oft auf ein kleines Gebiet begrenzt sind. Das muss man fairerweise auch sagen.

DOMRADIO.DE: Zumindest war auch bei uns in den Medien vor allem die Konfrontation sichtbar. Auch auf den Straßen der israelischen Städte. Würden Sie sagen, die Aktionen haben Rückhalt in der israelischen oder in der arabischen Bevölkerung? Oder ist das etwas, was noch wachsen muss, um zu einer Massenbewegung zu werden?

Krogmann: Ich glaube, das ist sehr schwer einzuschätzen, weil sehr oft gerade die, die zu Gewalt aufrufen, die sind, die mit der lauten Stimme rufen. Ich glaube, dass ist eine doch nicht zu unterschätzende große Gruppe, die still und stillschweigend ganz einfach ihr Leben leben will, und zwar im Frieden mit den Nachbarn.

Die Tatsache, dass es über Tage hinweg diese kleineren Aktionen landesweit gab, also in verschiedenen Krankenhäusern, an verschiedenen Straßenecken, in verschiedenen Städten und in der Wüste, zeigt schon, dass es durchaus einen Grund von beiden Seiten aus gibt, in der arabisch-israelischen Gesellschaft, aber auch in der jüdisch-israelischen Gesellschaft Zeichen zu setzen. Ich glaube, man darf das nicht unterschätzen. Sie sind vielleicht etwas leiser.

DOMRADIO.DE: Und vielleicht auch auf einer ganz anderen Ebene als die politischen Diskussionen, in denen ja meistens die Lösung des Konflikts gesucht wird.

Krogmann: Richtig Das ist definitiv etwas, was eher auf dem Nachbarschaftsniveau ist. Viele von denen, die sich da engagieren, kennen sich auch über Jahre hinweg. Bei bestimmten Demonstrationen, sieht man immer wieder die gleichen Leute. Das ist ein anderes Niveau. Es ist ganz klar. Wie gesagt: Es kommt von unten, von der Basis. 

Das Interview führte Gerald Mayer. 


Bewaffnete Männer in der israelischen Stadt Akko / © Andrea Krogmann (KNA)
Bewaffnete Männer in der israelischen Stadt Akko / © Andrea Krogmann ( KNA )

Palästinenser schauen auf Gebäude, die durch israelische Luftangriffe zerstört wurden / © Mohammed Talatene (dpa)
Palästinenser schauen auf Gebäude, die durch israelische Luftangriffe zerstört wurden / © Mohammed Talatene ( dpa )
Quelle:
DR
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