Er will den Kapitalismus weiterentwickeln. "In unserer heutigen Gesellschaft ist der Mensch deformiert. Wir müssen ihn nur aus seinem Gefängnis befreien", begründet Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus sein Konzept des "social business". Das kapitalistische Wirtschaftssystem müsse nicht zwangsläufig nur auf Gewinne abzielen. Es könne auch einen sozialen Zweck erfüllen, argumentiert er. Die Frage laute: "Wollt ihr Geld verdienen oder soziale Probleme lösen?" Letzteres könne "einfach viel mehr Spaß machen".
1983 erhielt er die staatliche Genehmigung für seine Grameen Bank, die "Bank auf dem Land". Sie vergibt Kleinkredite an Einzelne, vor allem Frauen - 20, 30 oder 50 US-Dollar, etwa für eine eigene Nähmaschine oder für ein Fahrrad, um die Ernte zum Markt zu bringen. Die Kredite werden nur unter der Voraussetzung angeboten, dass sich kleine Gruppen zusammenschließen und füreinander bürgen.
Yunus' Idee: Nur wenige Dollars entscheiden über Elend oder die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben. Mit Kleinkrediten lässt sich Armut durch Eigeninitiative bekämpfen. "Das bestehende Bankensystem funktioniert nur für die Reichen, aber nicht für das einfache Volk", begründete er seine Idee einer auf gegenseitigem Vertrauen basierenden Bank.
97 Prozent Rückzahlungsrate
Die Rechnung des zunächst verlachten Projekts ging auf. Die Rückzahlungsrate lag im Juli 2013 bei über 97 Prozent. Pro Jahr wurden zuletzt mehr als 1,5 Milliarden Dollar als Kredite vergeben. Mehr als acht Millionen Kreditnehmer waren zu dem Zeitpunkt Geldnehmer der Grameen Bank.
Yunus wurde am 28. Juni 1940 in Bangladesch geboren. Fünf seiner 13 Geschwister starben noch als Kinder. Er studierte in den USA und kehrte 1972 in seine Heimat zurück. Während einer Hungersnot 1974 zog der Professor über die Dörfer, um zu erfahren, was die Ärmsten brauchten.
"Eines Tages traf ich eine sehr arme Stuhlmacherin. Das passte nicht zusammen, diese wunderbaren Stühle und das ärmliche Haus, in dem sie sie herstellte", so hat Yunus den Beginn seiner Erfolgsgeschichte beschrieben. Die Frau verdiente nur zwei Cent am Tag, weil sie bei einem Händler Geld für Bambus leihen musste. Sie bekam das Geld nur, wenn sie ihm ihre Stühle zu einem sehr niedrigen Preis verkaufte. "Mein Gott, es sieht aus wie ein geschäftlicher Deal, aber sie ist eine Sklavin", dachte sich Yunus. "Auf dem Markt hätte sie das Fünffache für die Stühle bekommen."
Viele Neider
Seitdem wurde er zum "Bankier der Armen". 2006 erhielt er dafür den Friedensnobelpreis. Und das Konzept wurde von zahlreichen Organisationen kopiert. UNO, Entwicklungspolitiker, Kirchen und die Weltbank haben seine Idee gefördert. Und Yunus ging noch weiter; er gründete soziale Unternehmen, die sich um günstige Krankenversorgung, Ausbildungen von Krankenschwestern oder bezahlbare medizinische Behandlung kümmerten. Gewinne werden reinvestiert.
Allerdings: Der Erfolg rief auch Neider auf den Plan. Und Nachahmer, die nur ihren eigenen Profit im Auge haben. "Manche benutzen den guten Namen der Mikrokredite, um als Kredithaie zu agieren", versucht sich Yunus abzugrenzen. Auch seriöse Kritik gibt es: Diskutiert wird, ob Kleinkredite wirklich Armut lindern. Schließlich habe Bangladesch noch keinen Weg aus dem Elend gefunden.
Zu seinen Gegenspielern gehörte auch die als korrupt geltende Regierung von Bangladesch. 2011 drängte sie Yunus aus seiner Bank. Nach Ansicht von Beobachtern ging es darum, den Einfluss des populären Wissenschaftlers zu brechen. "Sie sagen, Grameen sei eine Staatsbank, also müsse ich wie ein Staatsbeamter mit 60 in den Ruhestand", berichtete er. "Aber Grameen gehört den Armen." Yunus ging vor Gericht - vergeblich.
Zuletzt zeigte sich Yunus optimistisch: Noch sei es der Regierung nicht gelungen, die Bank zu übernehmen, sagte er im vergangenen Herbst. Stolz verwies er zudem darauf, dass die Grameen Bank auch in den USA erfolgreich sei. "Wir haben sieben Zweigstellen und 25.000 Kunden allein in New York." Seit Oktober 2012 liegt sein Arbeitsplatz in Schottland: als Kanzler der staatlichen Glasgow Caledonian University.