Marita Schlüter hat die vergangenen Jahre wie eine Entdeckungsreise erlebt. Die Diplom-Restauratorin hatte es mit einem ganz besonderen Werk zu tun: der astronomischen Uhr im Dom von Münster. Das fast 500 Jahre alte Werk, das sich im Chorumgang der Kathedrale aufbaut, vereint das Wissen gleich mehrerer Disziplinen: Messtechnik und Malkunst genauso wie Astrologie und Astronomie, und nicht zuletzt auch Theologie.
Abschluss in dieser Woche
Seit 2017 wurde die etwa acht Meter hohe und vier Meter breite Uhr in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern und dem Denkmalschutz untersucht und möglichst wieder in ihren ursprünglichen Zustand versetzt. In dieser Woche fanden die rund 200.000 Euro teuren Arbeiten ihren Abschluss - mit dem Einbau des sogenannten Kalenderblatts, einer Scheibe mit einem Durchmesser von 1,5 Metern. Für Schlüter endete damit eine Arbeit, bei der sie vor allem dem Maler Ludger tom Ring dem Älteren (1496-1547) näherkam. Er und seine Werkstatt gestalteten die 18 Quadratmeter Holzfläche - darunter auch die auf dem nun eingesetzten Kalenderblatt im unteren Teil.
Wappen des Malers tom Ring entdeckt
Dieses versammelt auf seinem inneren Ring zwölf Monatsbilder, kleine Scheiben mit einem Durchmesser von je 15 Zentimetern. Sie stellen die für den jeweiligen Monat typischen Aktivitäten in der Stadt und auf dem Land dar. Lange gab es Zweifel, ob die kleinen Bilder gerade im unteren Bereich überhaupt von tom Ring stammen, so Schlüter. Unter dem Mikroskop befreite sie die Malereien von später aufgebrachten Farbschichten. Im Januar-Bild, das eine Familie am Herdfeuer zeigt, entdeckte sie das Wappen des Malers in Form dreier Kreuze und die Jahreszahl 1540 im Türsturz, für sie ein unvergleichliches "Aha-Erlebnis" und der Beweis für die Urheberschaft tom Rings.
"Das ist ein Wahnsinnswerk"
Die Uhr, die 1540 bis 1542 vom Buchdrucker und Mathematiker Dietrich Tzwyvel und dem Domprediger Johann von Aachen errichtet wurde, bietet eine unerschöpfliche Zahl solcher Details. Der aktuelle Hausherr der Kathedrale, Dompropst Kurt Schulte, staunt selbst immer wieder: "Das ist ein Wahnsinnswerk." Und er räumt freimütig ein, dass er selbst auch nicht alles verstehe. Gleichwohl ist er stolz auf die Uhr. Es mache demütig, was die Menschen damals alles berechnen konnten. Die Uhr gibt nicht nur Stunde und Tag an, sondern macht auf einem eigenen Ring auch Angaben zu den 532 Jahren von 1540 bis 2071. Dabei wurde sie so konzipiert, dass sich die kirchlichen Feiertage bestimmen lassen - was nach der gregorianischen Kalenderreform von 1582 allerdings nur noch mit Zusatzberechnungen möglich ist.
Astronomie und Astrologie in der Kirche
Immer wieder wird Schulte gefragt, was Astronomie und Astrologie in einer Kirche zu suchen haben. Dann weist er darauf hin, dass die Uhr das Wissen der damaligen Zeit vereint und für ihre Macher Sterne und Planetenkonstellationen von Gottes Hand zusammengehalten wurden.
Auffälliges Zeichen dafür ist, wenn die auch als Sterndeuter bekannten Heiligen Drei Könige einmal am Tag aus ihrem Sperrholzobdach heraustreten und sich vor dem Jesuskind verbeugen. Für den Dompropst hat die Uhr nicht zuletzt eine mahnende Funktion.
Jede Viertelstunde schlägt sie an - oft auch in die Stille des Gottesdienstes oder in den Chorgesang hinein. Aber gerade solche Momente erinnerten daran, dass die Zeit der Menschen auf Erden nicht endlos ist. Dies gilt sowohl für den Adel als auch für die unteren Stände, deren Leben tom Ring in den Monatsscheiben darstellte. Da werden im März Obstbäume veredelt, und im Dezember wird Holz gemacht.
Die Uhr ist eine von noch rund 20 Hanse-Uhren, mit denen sich die wirtschaftlichen Zentren schmückten und die nicht nur in Kirchen stehen. Für Restauratorin Schlüter ist die in Münster aber die Schönste von allen - mit ihren Malereien und den zehn fast vollplastischen Figuren. Bis auf das Uhrwerk - das vollmechanische wurde 1932 durch ein elektrisches ersetzt - handele es sich um Originale. Durch Schlüters Arbeit wurden diese noch originaler. So befreite sie auch das Bild zum Wonnemonat Mai von Übermalungen: Nun wechselt der etwas steif gewordene Blick einer Dame wieder etwas freundlicher zu ihrem Verehrer.