"Wir sind keine fertigen Christen. Wir befinden uns auf einem Weg des Lernens", stellt Pater Gianluca Carlin fest. Daher sei auch die Frage nach der Gewissheit über die Welt, das Leben und die Beziehungen, die es ausmachen, angesichts der Ungewissheiten unserer Zeit umso drängender.
"Das heißt, wir wollen auch von anderen wissen, wie sie zu ihren Gewissheiten gelangen. Daher laden wir sehr unterschiedliche Menschen ein, um mit ihnen darüber ins Gespräch zu kommen und von ihnen zu lernen."
Austausch und Begegnung
Zum fünften Mal hat der gebürtige Italiener, Ordensgeistliche und Schulseelsorger aus Brühl gemeinsam mit den anderen ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Rhein-Meetings, das aus der geistlichen Bewegung "Communione e liberazione" entstanden ist, zum Austausch nach Köln eingeladen.
"Unser Anliegen ist, ausgehend von einer eigenen Glaubensperspektive gesellschaftsrelevante Fragen zu diskutieren und die kulturelle Dimension unseres Glaubens sichtbar zu machen."
"Gewissheit"
Nachdem zuletzt der Wahrheitsbegriff aus der öffentlichen Diskussion verschwunden sei, gar als antiquiert gegolten habe, würden derzeit gesellschaftspolitische Diskussionen über "alternative Fakten" und Fake News auf ein grundlegendes Bedürfnis nach Gewissheit verweisen, begründet der Vorsitzende des 2013 gegründeten Rhein-Meeting e.V. die Wahl des diesjährigen Themas "Gewissheit".
"Radikalisierte Ungewissheit" betitelte daher der prominente Politikwissenschaftler Professor Olivier Roy vom Europäischen Hochschulinstitut Florenz seinen Vortrag über Terrorismus und die Ursachen einer zunehmenden Radikalisierung junger Menschen. Der Philosoph Alexander Filonenko von der Universität Kharkov in der Ukraine spricht über wissenschaftliche, persönliche und ideologische Gewissheiten. Sophia Kuby von der Alliance Defending Freedom und Martin Groos, Support International e. V., schildern ihren Einsatz für verfolgte christliche Minderheiten, und die Kölner Benediktinerin Johanna Domek erzählt von ihrer Mitwirkung im Theaterprojekt "Glaubenskämpfer" am Schauspiel Köln.
Dialog beim akademischen Kongress
Alle Referate sind hochkarätig. Dennoch grenzt Carlin das Kölner Treffen, das wiederholt unter der Schirmherrschaft des Kölner Erzbischofs sowie des Europäischen Parlaments steht, trotz der wissenschaftlichen Expertise manchen Beitrags bewusst zu einem akademischen Kongress ab. "Das Thema ’Gewissheit’ interessiert uns nicht im Sinne einer dogmatischen Keule. Mit diesem Treffen hier in Köln wollen wir vielmehr einen Ort der Begegnung und des Dialogs schaffen, zu dem die Menschen ihre ganz eigenen Fragen mitbringen können." Diese wiederum könnten sehr unterschiedlich sein, wie auch die diesjährige Referentenliste aus den verschiedensten Bereichen ausweise.
Die Planung zu dieser Veranstaltung hat meist einen Vorlauf von ein, zwei Jahren, sagt er. "Dabei suchen wir nach Menschen, die – ausgehend von eigenen Erfahrungen – bereit sind zu teilen, was sie bewegt. Und diesmal konkret: die darüber sprechen, was ihnen Gewissheit gibt. Die uns helfen können, den Umständen des Lebens neugierig und erwartungsvoll zu begegnen und dabei eine Gewissheit zu vertiefen."
Trotzdem gehe es nicht um "intimistische Erfahrungsberichte", betont Carlin. "Wenn wir von Erfahrung sprechen, verbinden wir damit die Frage nach unserem eigenen Menschsein." Letztlich gehe es um die Frage: Wer bin ich? Und darum, die Sinnsuche des Menschen ernst zu nehmen.
"Glaube ist das Leben selbst"
"Der Glaube ist nicht das Sahnehäubchen auf der Torte des Lebens. Er ist das Leben selbst", erklärt Pater Gianluca. Im Zentrum dieses Rhein-Meetings stehe daher der Lernprozess, an dem sich alle – unabhängig von Alter, Beruf, gesellschaftlicher Schicht, Kultur und Religion – beteiligen könnten. Das Besondere sei: Es kämen Menschen, die den Querschnitt der Gesellschaft abbildeten, sich mit einer eigenen Glaubensidentität dieser Initiative aber verbunden fühlten.
Das Rhein-Meeting steht jedermann offen. Auch eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Viele Teilnehmer kennen sich ohnehin von vorangegangenen Treffen oder von Veranstaltungen der Bewegung "Communione e liberazione" – zu deutsch: Gemeinschaft und Befreiung, kurz CL genannt –, die in den 1950er Jahren als "Gioventù Studentesca" – studentische Jugendgruppe – von dem katholischen Priester Luigi Giussani, zunächst Gymnasiallehrer, später Professor an der Katholischen Universität Mailand, gegründet wurde und auf erfahrungsbezogener Religiosität fußt.
Bewegung in Deutschland
1979 kam die "Bewegung", wie sie bis heute intern genannt wird, auf Einladung des damaligen Erzbischofs von Freiburg, Oskar Saier, auch nach Deutschland. Mittlerweile ist CL in mehreren deutschen Städten und weltweit in 90 Ländern auf allen Kontinenten vertreten. Mitglieder hat diese geistliche Gemeinschaft nicht; die Teilnahme beruht auf Freiwilligkeit.
In seinem Grußwort bezog sich auch Kardinal Paul Cordes aus Rom auf die Verdienste Luigi Giussani: "Für mich ist CL eine Hoffnung, ein Impuls, der Zukunft verspricht. Ich freue mich, dass in Deutschland so etwas zustande gekommen ist."
Auch wenn es diesbezüglich als Entwicklungsland gelten könne und sich mit Bewegungen eher schwer tue – "engagieren Sie sich dafür", rief er den vielen jungen Zuhörern zu, "dass eine Bewegung wie die CL wächst."