Am Freitag gedenken Protestanten der Reformation. 1517, einen Tag vor Allerheiligen, hatte der Augustinermönch Martin Luther in 95 Thesen die damalige Ablasspraxis der Kirche kritisiert. Dass er sie an die Tür der Wittenberger Schlosskirche geschlagen hat, wie es zahlreiche Bilder darstellen, bezweifeln neuere Forschungen. Die Veröffentlichung der Thesen löste gleichwohl weltweit Veränderungen aus, nicht nur in Kirche und Theologie, sondern auch in Musik, Kunst, Wirtschaft und Gesellschaft. Sie markiert zudem die bis heute andauernde Teilung der abendländischen Kirche in die Katholische und lutherische und reformierte Kirchen.
Der Reformationstag ist in den neuen Bundesländern gesetzlicher Feiertag, in Berlin und den alten Ländern nicht. Die Evangelische Kirche strebt an, ab 2017 den Reformationstag zum bundeseinheitlichen Feiertag zu machen. 1999 unterzeichneten Katholiken und Lutheraner am Reformationstag die "Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre", die einen Konsens der Kirchen in Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre, dem Herzstück der Theologie Luthers, besiegelte.
Mit Blick auf den 500. Jahrestag der Reformation 2017 begeht die evangelische Kirche seit 2008 eine "Reformationsdekade". In den einzelnen Themenjahren soll verdeutlicht werden, was Reformation bedeutet. 2014 stand unter dem Leitwort "Reformation und Politik". Das nächste Themenjahr, das am Freitag eröffnet wird, steht unter dem Motto "Reformation - Bild und Bibel".
Einseitige Haltung
Beim Gedenken an den bevorstehenden 500. Jahrestag der Reformation wird der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) nun eine einseitige Haltung vorgeworfen. Weder mit anderen protestantischen Kirchen noch mit anderen Konfessionen oder gar Religionen gebe es einen intensiven Austausch, schreibt zum Beispiel der Gründungsdirektor des Deutschen Historischen Instituts in Washington, Hartmut Lehmann.
Besonders hart ins Gericht geht Lehmann mit der im Mai veröffentlichten EKD-Schrift "Rechtfertigung und Freiheit". Das umstrittene Papier zum Reformationsjubiläum blende wichtige Ergebnisse des ökumenischen Dialogs zwischen evangelischer und katholischer Kirche aus. So werde die 1999 gemeinsam verabschiedete Erklärung zur Rechtfertigung mit keinem Wort erwähnt.
Auch eine vom Lutherischen Weltbund und dem Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen im vergangenen Jahr publizierte Schrift zum gemeinsamen Reformationsgedenken werde "vollständig ignoriert", beklagt der Historiker. "Den Verfassern von 'Rechtfertigung und Freiheit' ging es offensichtlich darum, eine dogmatisch klar fixierte und zugleich enge Auffassung von Rechtfertigung als typisch 'evangelisch' zu reklamieren."
Weiter bemängelt Lehmann in dem EKD-Papier eine zu unkritische Sicht auf die historischen Folgen der Reformation. So werde diese allzu pauschal als Motor für Bildung und für die Formulierung der modernen Grundrechte interpretiert. "Was hätten differenziertere Ausführungen an dieser Stelle geschadet, etwa dass im Zuge der katholischen Erneuerung auch die Jesuiten wichtige Bildungsimpulse gaben, dass es die von den etablierten Kirchen verfolgten Täufer waren, die zuerst das Grundrecht auf Religions- und Gewissensfreiheit reklamierten?"
Er, so Hartmann, sehe die Gefahr, "dass nach zehn Jahren Lutherdekade mit Hunderten von Veranstaltungen und Events im Jahre 2017 das Thema Luther in der breiteren Öffentlichkeit nur noch auf Desinteresse stoßen wird, im schlimmsten Fall auf Ablehnung und Spott."
Katholiken empört
"Empört und enttäuscht" äußerte sich der Fuldaer Bischof Heinz Josef Algermissen über das EKD-Papier. Er sehe sich darin bestätigt, dass es "eigentlich keinen hinreichenden Grund gibt, etwas gemeinsam zu feiern", erklärte Algermissen, der stellvertretender Vorsitzender der Ökumene-Kommission der Deutschen Bischofskonferenz ist.
Der Text, so der Bischof, sei für ihn sozusagen die Ausladung der katholischen Kirche zugunsten einer Einladung dazu, die - wie es im Dokument heiße - "Verbindung von Reformation und neuzeitlicher Freiheitsgeschichte" als Grund für ein "Fest der ganzen Gesellschaft und des säkularen Staates" zu feiern. Hier werde die Katze aus dem Sack gelassen, nachdem schon zuvor der katholischen Kirche indirekt eine Ohrfeige nach der anderen verpasst worden sei. Nach all den Konsenspapieren der letzten Jahrzehnte sei die Diktion des Textes "destruktiv".
Kritik an dem EKD-Text hatten auch der emeritierte deutsche Kurienkardinal Walter Kasper, der "Ökumenebischof" der Bischofskonferenz, Gerhard Feige, und der Leiter des Johann-Adam-Möhler-Instituts für Ökumenik, Wolfgang Thönissen, geübt.
Thönissen sagte am Freitag gegenüber domradio.de, es müsse erst einmal geklärt werden, "worin denn die Gemeinsamkeit zwischen Katholiken und Protestanten" bestehe. Der Reformationstag bedeute für Katholiken "in erster Linie die Spaltung der abendländischen Kirche". Katholiken täten sich bis heute "zu Recht schwer, die Reformation zu feiern", so Thönissen im Interview. Positiv wertete der katholische Ökumene-Fachmann dagegen, dass evangelische und katholische Christen in den vergangenen Jahrzehnten wieder näher gekommen seien. Die Konfession könnten mittlerweile auch wieder gemeinsam in der Öffentlichkeit agieren. Es gäbe also durchaus einen gemeinsamen Tag, den man feiern könnte, so Thönissen weiter.
Einen dauerhaften bundeseinheitlicher Feiertag am 31. Oktober lehnt Thönissen ab: "Ich würde es bei diesem einen Tag 2017 belassen. Das ist ja ein ganz herausragendes Datum. Die Chance besteht ja, diesen Tag ökumenisch gemeinsam zu begehen. Das ist die Herausforderung 2017." Vorraussetzung dafür sei, dass die Kirchen gemeinsam kritisch auf dieses Datum zurückblickten und feststellen, dass "bei der Spaltung die Schuld auf beiden Seiten vorliegt".
An die Protestanten appelliert Thönissen , den "Bischof von Rom" als Diener der Einheit der Christen anzuerkennen - ein solcher "Zeugendienst" sei etwas anderes als die hierarchische Stellung des Papstes in seiner eigenen Kirche.