domradio.de: Mit einem Gottesdienst wurde der Wiederaufbau des Kirchturms begonnen. Welche Aspekte des Wiederaufbaus standen denn da im Mittelpunkt?
Wieland Eschenburg (Kommunikationsvorstand von der Stiftung Garnisonskirche): Im Fokus stand im Grunde das Ziel des Wiederaufbaus und dass dieser Ort etwas symbolisiert, wofür er noch nie in dieser Intensität gestanden hat: Er soll nämlich ein in die Zukunft gerichtetes Versöhnungszeichen, ein Zentrum der Versöhnung zu sein.
domradio.de: Kritiker bemängeln, dass der dunkle Schatten der Geschichte so schwer auf der Kirche laste, dass man sie nicht mehr aufbauen sollte. Warum braucht Potsdam die Garnisonkirche trotzdem?
Eschenburg: Dafür gibt es zwei Gründe: Zunächst geht es um das inhaltliche. Es geht also darum, dass wir solche Orte brauchen, an denen nach Geschichte und Verantwortung aus der Geschichte gefragt wird. Das Motto unserer Arbeit ist nicht umsonst: "Geschichte erinnern, Verantwortung lernen, Versöhnung leben". Damit das auch authentisch betrieben werden kann, brauchen wir die Garnisonkirche, denn wo nichts ist, kann auch nach nichts gefragt werden. Dieses Interview würde es gar nicht erst geben, wenn es keinen Wiederaufbau des Turms geben würde, der wiederum Anlass ist, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Ganz deutlich wird dabei: Gebäude selbst können keine Schuld tragen, sondern wir diskutieren menschliches Handeln.
Der zweite Grund für die Notwendigkeit des Wiederaufbaus ist das Heilen der Wunde im Stadtbild. Jemand hat mal gesagt, dass das Fehlen der Kirche so ist, wie wenn im Gesicht eines Menschen die Nase fehlen würde. Potsdam ist ja insgesamt in einer barocken Altstadt-Struktur konstruiert und entwickelt worden und da war der Turm der Kirche fester Bestandteil des berühmten Potsdamer-Drei-Kirchen-Blicks.
domradio.de: Dagegen wird angebracht, dass es diese Kirche im Moment ja gar nicht gibt. Bei der Frauenkirche in Dresden, zum Beispiel, gab es immerhin noch eine Ruine. Aber hier ist ja nichts mehr da. Was sagen Sie zu der Befürchtung, dass nun eine Art Disneyland aufgebaut wird mit einem Symbol, das doch vor allem zwei absolutistischen Systemen zur Instrumentalisierung gereicht hat?
Eschenburg: Ich kann das nachvollziehen - allerdings nicht, was die Vereinfachung angeht, die in dieser Argumentation steckt. Denn zunächst einmal haben die beiden Systeme in Dresden nicht in gleicher Diktion den Ort bewertet. Die Frauenkirche in Dresden war auch während der Zeit des Nationalsozialismus Zentrum für deutsche Christen. In die Geschichtsbücher der DDR ist das Gebäude eingegangen als Mahnmal gegen Faschismus und Krieg: völlig zu Recht!
Die Ruine der Garnisonkirche war im Grunde genauso ein Mahnmal, ist aber in ihrer Deutung in der Zeit des Nationalsozialismus und dann unter Ulbricht ohne einen Bruch in der Deutung behandelt geworden. Damit ist sie auch mehr zum Symbol für menschliches Versagen geworden. Ich verstehe, dass Menschen gegen den Wiederaufbau sind, aber ich bin schlicht der Auffassung, dass wir gerade wegen des menschlichen Versagens und dem Sich-Reiben von Geschichte an diesem Ort, die Garnisonkirche brauchen.
Das Interview führte Christoph Paul Hartmann.