Gauck besucht Caritas-Einrichtung für benachteiligte Jugendliche

"Ein Stück Deutschland, das ich nicht missen möchte"

Bundespräsident Joachim Gauck hat das soziale Engagement von Ehrenamtlichen und Kirchen gewürdigt. Die Arbeit für und mit benachteiligten Jugendlichen verdiene großen Respekt und Unterstützung.

Bundespräsident besucht Christopherus-Jugendwerk  (dpa)
Bundespräsident besucht Christopherus-Jugendwerk / ( dpa )

Seine Eltern sind tot, sein Bruder ist im Gefängnis: Ali H. - 17 Jahre alt, schwarze Nietenlederjacke - hat eine Odyssee hinter sich. Aus dem Iran schlug er sich alleine über die Türkei, Griechenland, Italien und Frankreich bis nach Deutschland durch.
Jetzt aber erzählt er Bundespräsident Joachim Gauck von seiner Arbeit in der Fahrradwerkstatt des Christopherus-Jugendwerks. Seit drei Monaten ist er hier, und hat erstmals in seinem Leben die Chance auf Bildung, auf eine echte Perspektive. "Ich will einfach nur normal leben, die Schule fertig machen, eine Ausbildung", sagt er.

Gauck zeigt sich im Anschluss beeindruckt vom Besuch in der Breisacher Caritas-Einrichtung für benachteiligte Jugendliche. "Wenn Jugendliche erzählen, dass sie eigentlich schon jede Hoffnung verloren haben, in der Schule gescheitert sind und jetzt hier nochmal eine Chance bekommen, das ist schon bewegend. Ich habe sehr starke junge Leute getroffen, die für ihre Ziele hart arbeiten", sagt Gauck nach dem zweistündigen Besuch. "Das ist ein Stück Deutschland, das ich nicht missen möchte."

Noch am Vormittag hatte der Bundespräsident im edlen Ambiente des Freiburger Konzerthauses in wohlgesetzten Worten die Perspektiven der Sozialen Marktwirtschaft ausgeleuchtet und zu mehr Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit in Deutschland aufgerufen, zugleich jedoch für eine freiheitliche Gesellschaft plädiert, in der der Staat den einzelnen nicht bevormunden dürfe.

"Keineswegs selbstverständliches" Engagement

Die akademische Rede muss sich am Nachmittag sogleich in der harten Wirklichkeit bewehren. Im Breisacher Jugendwerk leben Schulverweigerer, von ihren Eltern vernachlässigte Kinder und Flüchtlinge wie Ali ohne jede Angehörige. Ein Team von Pädagogen, Erziehern und Ausbildern versucht, ihnen einen Weg in ein selbstständiges Leben zu ebnen. In mehreren Wohngruppen leben derzeit rund 70 Jugendliche. Auch bietet die Jugendeinrichtung in einer eigenen Schule individuelle Förderung für einen Haupt- oder Realschulabschluss an. Möglich sind auch Berufsausbildungen, etwa als Schreiner, Zimmerer oder Fahrradmechaniker.

"Wir dürfen es uns nicht leisten, Menschen zurückzulassen, nur weil sie kein behütetes Elternhaus haben und im ersten Anlauf in der Schule scheitern", fordert Gauck. Dazu brauche es aber breite, gesamtgesellschaftliche Anstrengungen und ein Zusammenwirken von Staat und "engagierten Gruppen wie Kirchen und Caritas". Das reiche Deutschland könne hier noch mehr tun, findet Gauck. Und er dankt den Mitarbeitern des Jugendwerks dann auch für ihr "keineswegs selbstverständliches" Engagement. "Wer es schafft, Jugendlichen ohne Lebensperspektive neue Hoffnung und Grundvertrauen einzupflanzen, ist für mich ein Held", so Gauck.

Für den Leiter der Jugendwerks-Fahrradwerkstatt, Bernd Rüttgers, ist das fast zuviel des Lobs. "Im Mittelpunkt des Besuchs stehen doch unsere Jugendlichen", sagt er bescheiden. Und Jugendwerkschef Norbert Scheiwe hofft, dass durch den Präsidentenbesuch "unsere Jugendliche endlich mehr öffentliche Aufmerksamkeit erfahren". Zunächst aber geht die Arbeit weiter. Morgen wird Ali wieder unter Rüttgers Anleitung in der Werkstatt arbeiten und für den Hauptschulabschluss lernen. "Meine Lehrer sagen, dass ich es schaffen kann."


Quelle:
KNA