Die Entscheidung ist ihm sichtlich schwer gefallen: Am Montag verkündete Bundespräsident Joachim Gauck im Berliner Schloss Bellevue, dass er nicht mehr für eine weitere Amtsperiode zur Verfügung stehen werde. Er übe das Amt "mit Respekt und auch mit Freude aus", sagte er in einem kurzen, etwas wehmütigen Statement.
Tatsächlich wirkt Gauck nicht amtsmüde, ganz im Gegenteil. Allerdings könne er für die "Energie und Vitalität", die das Amt verlange, in den kommenden Lebensjahren nicht garantieren, so die Begründung des 76-Jährigen. Eine zweite Amtszeit würde er mit 82 Jahren beenden. Damit wäre er zwar immer noch jünger als mancher Papst. Allerdings wachsen die Forderungen an das Amt im medialen Zeitalter. Die "italienische Lösung" mit angekündigtem Rücktrittsdatum, wie beim damaligen Staatspräsident Giorgio Napolitano, hatte er ausgeschlossen.
Kein Lager mit Mehrheit
Gauck übernahm die Präsidentschaft in einer schweren Krise, nach dem erzwungenen Rücktritt seines Vorgängers Christian Wulff. Es gehört zu seinen größten Leistungen, dass er dem Amt in kurzer Zeit Ansehen und Respekt zurückgegeben hat. Und wenn er es weiterhin "mit Ernst, mit Hingabe und mit Freude" versieht, wie er sagte, wird er es auf dem Höhepunkt seiner Popularität und mit Anerkennung über Parteigrenzen hinweg verlassen.
Der Zuspruch von Union, SPD, FDP und Grünen, die ihn 2012 gewählt hatten, wäre ihm für eine weitere Amtszeit sicher gewesen. Denn die Suche nach einem Nachfolger für die Wahl der Bundesversammlung im Februar 2017 wird kompliziert. Keines der Lager verfügt über eine Mehrheit, und die politische Signalwirkung acht Monate vor der Bundestagswahl ist groß.
Als Kandidaten werden Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) genannt. Möglicherweise versucht Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), erneut Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle zur Kandidatur zu bewegen. Sie wollte ihn seinerzeit noch als Gegenkandidat zu Gauck.
Anspruch und Erwartungen hoch
Oder wird es erstmals eine Frau - eine Pastorin... Der Poker hat begonnen. Gauck selbst hat den Anspruch an das Amt erhöht. Vielleicht sei nicht allen klar, dass die "höchste Repräsentanz einer Republik, einer Demokratie, doch mindestens so viel Ehrerbietung verdient, wie es ein gekröntes Haupt verdient", meinte er kürzlich in einem Interview des Deutschlandfunks.
Er selbst versteht sich als erster Bürger oder Citoyen, - wie er gerne sagte - jene altfranzösische Bezeichnung des aufgeklärten Staatsbürgers, der aktiv und eigenverantwortlich das Gemeinwesen mitgestaltet. Fast missionarisch insistiert er dabei auf der Freiheit - nicht als utopischem Sehnsuchtsort, sondern als Raum der Mitgestaltung. Seine "Freude an der Freiheit" unterlegt der aus Rostock stammende Kapitänssohn und spätere Pastor immer wieder biografisch.
Unter den Bundespräsidenten gehört Gauck als Elfter sicherlich zu den politischeren. Seinem stilsicheren, verbindlichen - durchaus charmanten - Auftreten und seinem rhetorischen Talent, vor allem seiner persönlichen Überzeugungskraft hat er es zu verdanken, dass seine politisch kontroversen Einlassungen das Amt nicht weiter beschädigten, sondern ihm - ganz im Gegenteil - Respekt verschafften. Altbundespräsident Horst Köhler scheiterte an dieser Herausforderung.
Zivilpastorales Amtsverständnis
Ja, der evangelisch-lutherische Pfarrer entwickelte fast ein zivilpastorales Amtsverständnis, um in einer offenen Gesellschaft angesichts wachsender Konflikte integrierend zu wirken. Dabei sieht er sich als Anwalt der bürgerlichen Freiheitsrechte - etwa der Religionsfreiheit für Muslime, auch wenn er den Islam nicht so dezidiert als Teil Deutschlands versteht wie sein Amtsvorgänger Christian Wulff.
Seinen christlichen Glauben hat Gauck nie verborgen, das offene Bekenntnis aber hinter dem Amt zurückgenommen. "Der Mensch braucht etwas, das ihn trägt und stärkt auch gegenüber der Versuchung zu Gleichgültigkeit und Zynismus", sagte er unlängst. Papst Benedikt besuchte er im Vatikan. Es wäre ihm eine "Herzensfreude", Papst Franziskus in Deutschland zu begrüßen, bekannte er im KNA-Interview.