Jubiläumskonzert der Domkantorei Köln

Geburtstag wird mit "Paulus" gefeiert

Zum 25-jährigen Bestehen 2020 hätte es Beethovens große C-Dur-Messe und einen Festakt geben sollen. Wegen Corona aber musste alles abgesagt werden. Ein Jahr später holt der Erwachsenenchor am Kölner Dom die Feier nach: nun mit Mendelssohn.

Autor/in:
Beatrice Tomasetti
Die Domkantorei Köln und die Kölner Domkapelle feiern mit dem Paulus-Oratorium ihren 25. Geburtstag nach. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Die Domkantorei Köln und die Kölner Domkapelle feiern mit dem Paulus-Oratorium ihren 25. Geburtstag nach. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Chorleiter Winfried Krane rechnet 25 plus eins – und schaut nach vorn. Auch wenn er ein Jahr später immer noch so etwas wie einen Phantomschmerz spürt. Immerhin konnte vor rund 20 Monaten pandemiebedingt weder "Lux in tenebris", das von ihm mit viel Aufwand geplante Festkonzert im Kölner Dom zu 75 Jahren Weltkriegsende mit Musik von Helge Burggrabe, noch das für November angesetzte große Beethoven-Jubiläumskonzert, das sich die Domkantorei Köln selbst zu ihrem 25. Geburtstag schenken wollte, stattfinden. Nun will er – soweit möglich – an diesem Freitag Ausgefallenes nachholen, aber mit der Wahl des Paulus-Oratorium von Felix Mendelssohn-Bartholdy auch einen neuen Akzent setzen. Denn sehr bewusst hat Krane nach zwölf Jahren – der Chor hat dieses Werk zuletzt 2009 aufgeführt – diese "hochemotionale und gleichermaßen dramatische Musik", wie er sie definiert, noch einmal auf die Agenda gesetzt. Aus gutem Grund.

"Schließlich ist die Geschichte des Heiligen Paulus in ihren unterschiedlichen Facetten aktueller denn je", begründet der Kirchenmusiker seine Wahl. "Inhaltlich spitzt sich da etwas zu – Parallelen zu unserer Zeit und unserem Bistum liegen auf der Hand. Auch wir erleben momentan in der Kirche, dass wir angefragt sind und unseren Glauben rechtfertigen müssen. Das war vor 2000 Jahren nicht anders." Mendelssohn erzähle nicht nur ein schönes frommes Drama, in dessen Verlauf der Christenverfolger Saulus zum Paulus werde und diese Bekehrung eine dann langjährige Missionstätigkeit mit sich bringe. Die Choräle – ganz in Bach-Manier – hätten die Aufgabe, die Zuhörer zu beteiligen, sie nicht am Zuschauerrand stehen zu lassen, sondern mitten ins Geschehen zu holen und zu einem Bekenntnis, einer persönlichen Stellungsnahme, einer eigenen Positionierung zu provozieren. "Als werde jeder Einzelne gefragt: Bist du bereit, auch unter erschwerten Bedingungen für die Sache Jesu einzustehen, Zeugnis für deinen Glauben abzulegen?"

Mendelssohn geht es um die Erzählung der Apostelgeschichte

Etwa fünf Jahre liegen zwischen dem Auftrag, den Mendelssohn 22-jährig vom Frankfurter Cäcilien-Verein 1831 bekommt, und der Uraufführung seines großen geistlichen Werks in der Düsseldorfer Tonhalle 1836. Inspiriert von den großen Oratorienkomponisten und Vorbildern Bach und Händel, hatte sich der junge Musiker zur Realisierung eines vergleichbaren Musikstücks von seinem Freund Julius Schubring einen Text aus Bibelworten gewünscht sowie die Einbeziehung von Chorälen "aus dem Gesangsbuch […] ganz in der Art der Bachschen Passion", wie aus einem Brief von 1832 hervorgeht.

Als der Text vorliegt, trifft Mendelssohn eine gezielte Auswahl von einzelnen Szenen aus dem Leben und Wirken des frühchristlichen Apostels. Das Oratorium, in zwei Teile gegliedert, beschreibt dessen Entwicklung vom verhassten Christenverfolger Saulus zum geläuterten gottesfürchtigen Paulus, wobei der erste Teil den Märtyrertod des Stephanus durch Steinigung sowie das Damaskus-Erlebnis mit der Erscheinung Christi schildert. Der zweite Teil indes berichtet von Paulus’ Arbeit als Missionar und von den damit verbundenen Gefahren. Dass der Komponist dabei dramaturgisch besonders wertvolle Details, wie die im Kerker von Philippi und die des Tribunals von Caesarea ausspart, wurde oft bedauert. Doch vermutet man, dass es ihm mehr um die Erzählung der Apostelgeschichte als um die monografische Darstellung von Paulus selbst ging.

Lust am Musizieren sorgt für Gründung der Domkantorei

Der Schlusschor unterstreicht dann die Erkenntnis, dass nicht nur ihm die Gerechtigkeit Gottes durch seine Standhaftigkeit widerfährt, "sondern allen, die seine Erscheinung lieben". Somit liegt die Interpretation nahe, dass das Oratorium auch als eine konkrete Aufforderung zum eigenen Umdenken, zum Neuaufbruch verstanden werden soll. "Erleuchte, die da sind verblendt, bring her, die sich von dir getrennt, versammle die zerstreuet gehen, mach fester die im Zweifel stehen." Unmissverständlicher, kommentiert Krane eine der vielen Choralstrophen, die im Wortlaut mit der Liednummer 485 sogar Einzug ins Gotteslob gefunden hat, könne doch die zeitlose Gültigkeit dieses Appells nicht formuliert werden.

Winfried Krane ist Leiter der Musikschule der Kölner Dommusik und in dieser Aufgabe mitverantwortlich für die Nachwuchssicherung der jungen Chorsängerinnen und -sänger im Kölner Domchor und im Mädchenchor am Kölner Dom. Über das Angebot der Musischen Vorschule will er bereits Kinder im Kindergartenalter mit Musik in Kontakt bringen und bei ihnen schon frühzeitig die Freude am Singen wecken, um ihnen "einen Reichtum fürs Leben mitzugeben", wie er das nennt. Aber auch die jungen Erwachsenen lagen dem 64-Jährigen immer schon am Herzen. Die Lust am gemeinschaftlichen Musizieren war schließlich vor 26 Jahren der Auslöser dafür, einen weiteren, dritten Chor innerhalb der Dommusik aus der Taufe zu heben und damit für die Liturgie am Dom auch einen gemischten Erwachsenenchor zu etablieren, der sich noch einmal einem ganz anderen Repertoire widmen konnte.

Konzertreise durch Venetien wird Geburtsstunde des Chores

Entstanden ist die Idee bei den "Erzbischöflichen Musiktage", zu denen von Aschermittwoch bis zum ersten Fastensonntag seit über 30 Jahren die älteren Schüler aller Erzbischöflichen Schulen zur Einstudierung einer Orchester-Messe von Mozart, Haydn oder Schubert eingeladen werden. Innerhalb von fünf Tagen arbeiten sie dann so konzentriert an einem solchen Werk, dass es schließlich am Sonntagmorgen während des Gottesdienstes im Altenberger Dom aufgeführt wird.

Es ist 1995 eine Reise durch Venetien, bei der Teilnehmer dieser Musiktage damals mit der As-Dur-Messe von Schubert und dem "Te Deum" von Bruckner unter anderem im Markus-Dom auftreten und die rückblickend zur Geburtsstunde der Domkantorei Köln und der Kölner Domkapelle wird. Viele Teilnehmer wollten nach dieser erfolgreichen Italien-Tournee weiter singen und spielen. Es fehlte ihnen nach dem Abitur aber an Gelegenheit, in einem Projektchor – wie bei den "Erzbischöflichen Musiktagen" – mitzusingen. "So entstand zunächst ein stimmenmäßig recht junger Chor", erinnert sich Chorleiter Krane an die Anfänge seiner Kantorei. Das habe sich inzwischen zwar verändert, zumal noch heute Sängerinnen und Sänger der ersten Stunde mit dabei seien. "Doch trotz der inzwischen gemischten Altersstruktur hat das Ensemble noch immer eine gute, ausgewogene Klangfarbe und eignet sich ganz hervorragend für große Oratorien-Projekte oder monumentale Musikereignisse", findet der Musiker.

Musikalische Leitung bei Heiligsprechung Edith Steins in Rom

Und davon standen in 26 Jahren etliche auf dem Programm: darunter das Weihnachtsoratorium von Bach und auch das von Saint-Saens, die Messen C-Dur von Beethoven, e-Moll von Bruckner, D-Dur von Dvorak oder die "Messe solennelle" von Berlioz sowie das Fauré-Requiem. Zu den Highlights des Chores gehören außerdem bis heute Beteiligungen an der 8. Mahler-Sinfonie, an den Gurre-Lieder von Arnold Schönberg und zuletzt noch im Januar 2020 – kurz vor Ausbruch der Pandemie – an der 9. Sinfonie von Beethoven; allesamt überragende Konzerterlebnisse in der Philharmonie. Auch die Mitwirkung bei der Heiligsprechung Edith Steins auf dem Petersplatz in Rom gerade mal drei Jahre nach der Gründung des Ensembles bleibt Krane und denen, die mit dabei waren, unvergessen. "Die Live-Schaltung damals in alle Welt war eine aufregende Sache. Schließlich hatte ich die musikalische Verantwortung für alle Gottesdienste zu diesem kirchlichen Großereignis in Rom und Köln."

Wie überhaupt jede Live-Übertragung – auch die des Kapitelsamtes am Sonntagmorgen über das Domradio aus dem Dom oder die des Chorgebets am Abend – immer einen besonderen Nervenkitzel bedeute. "Was nur noch dadurch zu toppen ist, dass einem gefühlt halb NRW zuschaut." Denn auch beim traditionellen Adventskonzert der Landesregierung, das der WDR immer an einem der Adventssamstage live sendet, war die Domkantorei vor vielen Jahren schon mit dabei.

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Das Erwachsenenensemble zeichnet sich inzwischen durch eine gemischte Altersstruktur aus. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Das Erwachsenenensemble zeichnet sich inzwischen durch eine gemischte Altersstruktur aus. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Maximilian Fieth, groß geworden in der Domkantorei, übernimmt beim "Paulus" die Tenorpartie. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Maximilian Fieth, groß geworden in der Domkantorei, übernimmt beim "Paulus" die Tenorpartie. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Chorleiter Winfried Krane hat sich zum nachgeholten Jubiläum für Mendelssohn entschieden. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Chorleiter Winfried Krane hat sich zum nachgeholten Jubiläum für Mendelssohn entschieden. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Die liturgische Gestaltung gehört zu den Hauptaufgaben der Domkantorei Köln. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Die liturgische Gestaltung gehört zu den Hauptaufgaben der Domkantorei Köln. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

2020 musste das große Jubiläumsfest ausfallen - Gratulanten gab es trotzdem: Domkapellmeister Metternich, Dompropst Assmann und Domdechant Kleine. / © Beatrice Tomasetti (DR)
2020 musste das große Jubiläumsfest ausfallen - Gratulanten gab es trotzdem: Domkapellmeister Metternich, Dompropst Assmann und Domdechant Kleine. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Dompropst Msgr. Guido Assmann und Winfried Krane am Cäcilienfest 2020. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Dompropst Msgr. Guido Assmann und Winfried Krane am Cäcilienfest 2020. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

2009 hat die Domkantorei zuletzt "Paulus" gesungen. / © Beatrice Tomasetti (DR)
2009 hat die Domkantorei zuletzt "Paulus" gesungen. / © Beatrice Tomasetti ( DR )
Quelle:
DR