Zielstrebig steuert Erika Müller auf den Tisch zu, an dem bereits Elli Limbach und Inge Schumacher Platz genommen haben. In der Mitte informiert ein Blatt mit roten Großbuchstaben darüber, dass hier für die nächste Stunde "Skip-Bo" auf dem Programm steht. Wer also Lust aufs Kartenspielen hat, ist an diesem Platz richtig. Doch der 80-Jährigen geht es weniger ums Gewinnen oder Verlieren. Sie will "zwischendurch einfach mal etwas anderes erleben" und raus aus den eigenen vier Wänden, wie sie es formuliert, zumal sie die meisten Besucher dieses Spielenachmittags aus der Gemeinde kennt und seit dem Tod ihres Mannes vor vier Jahren zunehmend gerne in Gesellschaft ist – auch mal unabhängig von der eigenen Großfamilie. Obwohl sich ihre vier Söhne liebevoll um sie kümmern und die Enkelkinder regelmäßig zu Besuch kommen, ist sie für diese Art der Abwechslung dankbar.
"Ich bin hier wegen der schönen Gespräche", argumentiert Elli Limbach, seit 40 Jahren im Handarbeitskreis der Pfarrei tätig, für den sie vor ein paar Jahren auch ihre Tischnachbarin Inge Schumacher geworben hat, die seit 23 Jahren Witwe ist. Nun freuen sich beide, dass übers Sticken und Nähen hinaus noch eine zusätzliche Begegnungsmöglichkeit mit anderen Frauen und Männern ihrer Generation in einer vergleichbaren Lebenssituation besteht. "Im Alter muss es doch auch noch Ziele geben und ein selbstgestaltetes Leben." Darin sind sich die zwei alleinstehenden Frauen einig.
"Impulse von außen sind wichtig"
"Ab und an muss ich mir etwas zumuten, damit ich beweglich bleibe", erklärt Marie-Theres Gehrmann ihre Motivation, an dieses Angebot von St. Nikolaus dauerhaft andocken zu wollen. "Mittlerweile brauche ich doch sehr viel mehr die Unterstützung der Gemeinschaft, weil ich nicht mehr so mobil bin, um etwas selbständig zu unternehmen", gesteht die 92-Jährige. Da seien Impulse von außen, die sie davon abhielten, sich allmählich in ihrem viel zu groß gewordenen Haus zu verkriechen, ganz wichtig. Zum Glück habe sie eine riesengroße Familie mit sogar fünf Urenkeln. Aber die seien ja doch oft sehr beschäftigt. Und so bemühe sie sich auch immer noch um eigene Aktivitäten, selbst wenn ihr das zunehmend schwer falle.
An fast allen der dicht besetzten Tischen im Bensberger Pfarrsaal ist die Stimmung aufgekratzt. Es wird viel gelacht, obwohl sich die meisten untereinander gar nicht kennen und eine Sitzordnung mehr nach dem Zufallsprinzip zustande gekommen ist. Denn eher nach Neigung haben sich die Spielpartner zusammengefunden. Der eine mag nun mal Scrabble, der andere "Stadt, Land, Fluss" und der dritte Canasta. Auch der Klassiker "Mensch, ärgere dich nicht" stößt auf großes Interesse bei den rund 30 Senioren, die der Einladung von Ehrenamtskoordinatorin Roswith große Oevermann ins Seniorencafé "Leib & Seele" an diesem Montagnachmittag nachgekommen sind.
Gemeinsames Singen funktioniert als "Türöffner"
Erika Busch gibt es unumwunden zu: "Ich will nicht allein zu Hause sein und bin für jede Ablenkung empfänglich. Ich komme zum Erzählen hierher; ich will unter Leuten sein. Und wenn heute Spiele dran sind, dann mache ich eben auch das mit." Die 78-Jährige ist schon seit über 20 Jahre verwitwet und unternimmt viel, um einer möglichen Vereinsamung entgegenzuarbeiten. Einmal in der Woche geht sie zur Wassergymnastik ins Schwimmbad, an einem anderen Tag zum Seniorenclub der evangelischen Kirche. Dienstags nimmt sie dort auf Einladung beider Kirchen an einem gemeinsamen Mittagessen teil – eine ökumenische Initiative – und alle 14 Tage steht eben auch dieses Seniorencafé im Treffpunkt St. Nikolaus mit seinen wechselnden Themen und Anregungen in ihrem Kalender. Auf diese Weise habe die ganze Woche eine feste Struktur. "Wenn das Leben auch mit fast 80 noch Spaß machen soll, muss man dafür etwas tun und wissen, wo man andere treffen kann", lautet fröhlich ihre Maxime.
Um in einen ersten Kontakt miteinander zu kommen, hat die Initiatorin dieses seit September bestehenden Angebots für Menschen ab Ü60 zunächst ein Lied angestimmt: "Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind"… Dieser Kanon zum Mitsingen ist inzwischen so etwas wie die Erkennungsmelodie dieser beliebten Veranstaltung geworden, die auch religiöse Impulse vorsieht. Außerdem funktioniert gemeinsames Singen wie ein Türöffner und sorgt schnell für eine lockere Atmosphäre. Die Sozialpädagogin große Oevermann, die 2017 an der Ausbildung zur Ehrenamtskoordinatorin des Erzbistums teilgenommen hat und seit einem Jahr mit einer begrenzten Stundenzahl bei der Gemeinde für den Bereich Seniorenarbeit angestellt ist – obwohl die Bensberg-Moitzfelder Pfarreiengemeinschaft keinen offiziellen Zuschlag für die Stelle eines Engagementförderers bekommen hat – weiß, wie anfängliche Hemmungen am besten abgebaut werden können. Überhaupt hat sich die hauptamtliche Ansprechpartnerin fürs Ehrenamt schnell in ihre Aufgabe eingearbeitet, zuvor aber erst einmal geprüft, was in der Gemeinde an gut laufenden Projekten bereits existiert und was nötig ist, um sich für neue die dafür notwendige ehrenamtliche Unterstützung mit ins Boot zu holen.
Anerkennung und Wertschätzung sind Dreh- und Angelpunkt
"Engagementförderung halte ich für ein ganz wichtiges Thema, da Kirche auch in Zukunft nur mit ehrenamtlichen Kräften funktionieren wird und man sich um diese wertvollen Mitarbeiter gezielt kümmern muss. Es geht viel um Anerkennung und Wertschätzung dieses freiwilligen Dienstes – gewissermaßen um Kundenpflege. Das ist der Dreh- und Angelpunkt", stellt die 54-Jährige fest. Und da gebe es zweifelsohne noch Luft nach oben. "Sollen pfarrliche Projekte auf sicheren Füßen stehen, müssen wir fragen: Welche Voraussetzungen braucht es dafür? Fühlen sich die Menschen, die sich in einem bestimmten Bereich engagieren, wohl? Welche Unterstützung benötigen sie? Macht sie ihr Engagement glücklich? Und wie kann es gelingen, zusätzliche Ehrenamtler für eine bestimmte Aufgabe zu gewinnen?"
Bei der Entwicklung des Seniorencafés "Leib & Seele" sei zunächst sehr viel Beziehungsarbeit erforderlich gewesen. Und nach den vielen Gesprächen mit potenziellen Helfern, die sie fast ausnahmslos aus den Alpha-Kursen der Gemeinde gewinnen konnte, auch eine gehörige Portion Mut. Eigentlich wie bei allen "Experimenten", für deren Gelingen es ja keine Erfolgsgarantien gebe, erläutert große Oevermann. Dafür habe sie sich auch mit den Kollegen von der evangelischen Nachbargemeinde zusammengesetzt, bei denen die Seniorenarbeit seit vielen Jahren erfolgreich läuft, zumal der Bedarf am Ort grundsätzlich groß sei.
Drohender Vereinsamung etwas entgegensetzen
"So war schnell klar, dass es bei ‚Leib & Seele’ für die alten Menschen – die meisten von ihnen sind zwischen 80 und 85 Jahren – um eine Gemeinschaftserfahrung gehen soll: mit Lesungen, Vorträgen und Infos zu seniorenrelevanten Themen. Aber eben auch – wie jetzt zu Karneval – ums Feiern, den Austausch in gemütlicher Runde oder auch religiöse Fragestellungen." Für jeden Nachmittag denke sie sich etwas Neues aus und mache die Erfahrung, dass ihr Bemühen, mit diesem Angebot gleichzeitig Aufmerksamkeit, Zuwendung und auch Wärme zu schenken, mit großer Dankbarkeit belohnt werde.
"Wir holen die Menschen in ihrer Trauer um den Partner ab, bei dem zunehmenden Verlust ihrer Alltagskompetenzen und vor allem in ihrer drohenden Vereinsamung, der wir bewusst etwas entgegensetzen wollen", betont große Oevermann das eigentliche Anliegen hinter einem solchen Spielenachmittag. "Denn Einsamkeit im Alter – ob offen zugegeben oder eher verschämt versteckt – ist für viele alte Menschen die größte Herausforderung und zeigt sich in einem erschreckenden Ausmaß. Dabei sehnen sich alle gleichermaßen danach, von ihrem Umfeld noch gesehen zu werden und zu etwas nütze zu sein." Mit einem geringen zeitlichen Einsatz lasse sich hier ganz viel Glück bewirken. Das sähe man den vielen strahlenden Gesichtern an diesem Nachmittag an. Nicht von ungefähr würden es von Mal zu Mal mehr Gäste.
Über Engagement in der Gemeinde "dazugehören"
"Es sind doch gerade die älteren Menschen in unseren Gemeinden, die am Sonntag unsere Kirchen füllen und als Garanten für die Glaubensweitergabe gelten. Sie haben in ihrem Leben viel geleistet und erfahren, dass Glaube Heimat geben kann. Das ist ein großes Potenzial, auf das die Kirche nicht verzichten kann." Senioren müssten als eine der wichtigsten Gruppen in der Kirche wahrgenommen werden, betont die Ehrenamtskoordinatorin, die sich freut, dass ihr Konzept aufgegangen ist und das Seniorencafé geradezu boomt.
Christel Hebborn gehört zu ihrem Helferteam und sorgt im Vorfeld für eine gedeckte Kaffeetafel und ansprechende Dekoration. Da ist die 81-Jährige, die über Roswith große Oevermann trotz ihres Alters noch einmal ein passgenaues Ehrenamt gefunden hat, ganz in ihrem Element. Nach der Teilnahme an "Exerzitien im Alltag", einem Alpha- und einem Beta-Kurs hat die Seniorin für sich eine ganz neue Perspektive entdeckt. Denn helfen mache Freude, sagt sie und ergänzt: "Jetzt gehöre ich in St. Nikolaus noch einmal richtig dazu."
Auch Brunhilde Pater hatte nach der langjährigen Pflege ihres Mannes bis zu seinem Tod kaum noch soziale Kontakte und sich damit gesellschaftlich komplett isoliert. Mit dem neuen Engagement in ihrer Kirchengemeinde aber ist die 82-Jährige noch einmal völlig aufgeblüht. Dabei ist das Seniorencafé nur einer von vielen Terminen, mit denen ihre Tage nun ausgefüllt sind. "Seit ich mich hier beteilige, weiß ich manchmal gar nicht, wo ich zuerst hingehen soll", schwärmt sie. Auch die viele Anerkennung, die ihr in der neuen Rolle zuteil wird, gibt ihr frischen Lebensmut. "Ich bin wieder dabei", freut sie sich, "und gehe jeden Tag dahin, wo Leben ist."